Katharina

Ich heiße Katharina, mit zweitem Namen Maria, mit Familiennamen Gaisbauer. Meine Eltern, mein Bruder und meine Freunde nennen mich Katha. Ich bin 16 Jahre alt und gehe in Nürnberg in die 10. Klasse am Gymnasium. Meine Eltern stammen aus der schönen Oberpfalz, was man ihnen, und manchmal auch mir, beim Sprechen anmerkt, weshalb ich oft das Wort „Moosbüffel“ oder den Kommentar „Ououou“ zu hören bekomme, wenn ein stolzer Franke meine Abstammung erkannt hat (wegen der ich mich natürlich nicht schäme).

 Mein Vater ist Abteilungsleiter bei einem Versandhaus. Er verdient recht ordentlich, doch dafür kommt er oft spät nach Hause und muss manchmal auch samstags arbeiten. Wenn er heimkommt, ist er meist wenig gesprächig, allerdings noch aktiv genug, um sich aufzuregen, wenn ich zu viel Geld brauche, zu lange telefoniere oder andere Todsünden begehe. Meine Mutter ist Hausfrau und hat das unangenehme Hobby, in meinen Sachen herumzuspionieren oder meine Hausaufgaben nach wie vor zu kontrollieren.. Mein Bruder Markus ist Spastiker. Obwohl die Ärzte ihn für geistig normal erklärt haben, scheint meine Mutter immer noch der Auffassung zu sein, dass er als armes, behindertes Kind nicht zu viel gefordert werden dürfe. Das streitet sie zwar ab, es ist jedoch deutlich zu erkennen. Markus sitzt im Rollstuhl, kann aber seine Arme fast normal bewegen. Trotzdem ist er auf einer Sonderschule für Körperbehinderte. Mit dem Computer umgehen kann er besser als ich und außerdem malt er gelegentlich - und zwar ausgezeichnet.

 In der Schule bin ich nicht schlecht, wenn auch, vor allem in Mathe, meinen Eltern nicht gut genug. Mit den meisten anderen in meiner Klasse - wir sind 15 Mädchen und 14 Jungen - verstehe ich mich eigentlich ganz gut, obwohl es natürlich, wie überall, einige Damen, die wegen jeder Kleinigkeit beleidigt sind, einige Herren, deren Lieblingsthema ihre Saufwettbewerbe und ihre Erfolge dabei sind, und andere unangenehme Wesen gibt.

 Da Schule ja nicht alles im Leben ist, spiele ich in meiner Freizeit gerne Gitarre und mache mit Bekannten Radtouren.

 Meine beste Freundin Yvonne, neben der ich sitze, ist Klassensprecherin. Wie ich auch ist sie gerne in der Natur und fährt viel Fahrrad. Ansonsten ist sie sehr viel sportlicher als ich und sieht zudem besser aus, weshalb einige Jungen hinter ihr her sind. Sonst verstehe ich mich auch mit Sandra gut, doch läuft zurzeit weniger gemeinsam, da sie einen festen Freund aus der Elften hat. Bei mir hat es bisher mit den Jungen noch nicht geklappt, doch so genau gesucht habe ich bisher auch noch nicht.

 Bis vor einem Jahr war ich in einer kirchlichen Jugendgruppe aktiv, die sich aber leider aufgelöst hat. Früher wäre ich sogar gerne Ministrantin geworden, was zu meiner Kinderzeit aber in unserer Pfarrei noch nicht möglich war. Als vor zwei Jahren endlich die Gleichberechtigung Einzug hielt, hatte ich keine Lust mehr. In die Kirche gehe ich trotzdem jeden Sonntag, weil meine Eltern dies so wollen und ich unnötigen Streit lieber vermeide. Die kennen es so und meinen, es gehöre sich.

Christoph

Ich, Christoph Reusch, bin echter Nürnberger und Clubfan. Auch selbst spiele ich Fußball, wenn auch nur bei Sparta Noris. Außerdem spiele ich gerne Tischtennis. Nebenher mache ich in meiner Gemeinde in der Kindergottesdienstvorbereitung mit und bin Klassensprecher, wenn ich als solcher auch noch nicht viel bewegt habe. Nur wenige in der Klasse wissen, dass ich in der Gemeinde aktiv bin. Das ist auch gut so, denn manchmal lästern sogar gute Freunde über meine Arbeit in der Gemeinde und fragen, ob ich wohl mal Pfarrer werden will. Das will ich nicht gerade, aber die Arbeit mit den Kindern macht mir Spaß. Ansonsten gehe ich zwar manchmal in die Kirche, aber soo gläubig wie andere aus meiner Gemeinde bin ich nicht.

 Daheim darf ich mich mit zwei Schwestern herumärgern. Susi, die ältere, macht dieses Jahr Abi und ist zurzeit meistens mit ihrer Facharbeit beschäftigt. Wenn sie nicht damit zu tun hat, ist sie mit Frank, ihrem Freund, unterwegs. Ellen, meine jüngere Schwester, ist dagegen umso öfter daheim und ein richtiger Quälgeist: Ständig hängt sie in meinem Zimmer herum, schnüffelt in meinen Sachen und so weiter. Unsere Eltern arbeiten beide in einer Fabrik für Maschinenteile, unser Vater als Konstrukteur, unsere Mutter als Sekretärin, allerdings nur halbtags. Eigentlich verstehe ich mich ganz gut mit ihnen, nur manchmal gibt es Reibereien - Schulnoten, am Wochenende zu spät heimkommen usw., wie überall. Wir sind nicht arm, aber mit manchen Klassenkameraden, die immer wieder neue Handys, Computerprogramme etc. haben, kann ich bei weitem nicht mithalten. Meistens ist mir das aber egal.

 

 Kurz nach Beginn des Schuljahrs war unser erster Wandertag. Nach Bamberg sind wir gefahren und mussten über Dom- und Michelsberg spazieren und uns die Ergüsse unseres Klassenlehrers Weiß über die Sehenswürdigkeiten dieser Stadt anhören. Unser Interesse hielt sich in Grenzen. Nach dem kulturellen Programm durften wir in Gruppen im verkehrsberuhigten Teil der Altstadt herumlaufen. Viele von uns gingen sofort in das nächste Café. Ich lief mit Stefan, Andi und Matthias, den wir „Macho“ nennen, noch eine Zeitlang durch die Läden, bis wir einige Mädchen aus unserer Klasse in einem Café sahen. Wir setzten uns ungefragt dazu. Da auch Yvonne, die andere Klassensprecherin dabei war, kamen wir auf unsere für Ende Oktober geplante Klassenfete zu sprechen. Macho wollte sicherstellen, dass genug Bier besorgt würde. Zwei Mädchen, Sandra und Katha, waren dagegen und meinten, wenn wir uns besaufen wollten, könnten wir alleine feiern. „Wenn wir ein, zwei Kästen Bier alle zusammen trinken, hat das doch nichts mit besaufen zu tun!“, entgegnete ich. „Aber wir brauchen auch was anderes. Ich bin nicht so der Biertrinker. Deshalb darfst du, Macho, das Bier besorgen, weil du kennst dich da aus!“

 „Jawohl, Herr Klassenoberst!“, sagte der und salutierte.

Yvonne, die grundsätzlich ziemlich systematisch dachte, sagte: „Ich finde, wir sollten uns am Wochenende mal treffen und gemeinsam überlegen, wer was besorgt und was wir machen wollen. Ich hab´ keinen Bock, das immer nur kurz in den Pausen oder nach der Schule mit Einzelnen zu bereden. Und jetzt müssen wir auch bald wieder zum Zug. Deshalb sollten wir mal einen Termin für die Vorbereitung ausmachen.“

 „Wann, wo und wer?“, fragte ich.

 „Wo: Bei mir: Wir haben genug Platz und meine Eltern sind fast das ganze Wochenende nicht da. Wer: Du, ich und wer sonst noch Zeit und Lust hat. Und wann: am Samstag muss ich einen Haufen Zeug erledigen, also entweder Samstagabend oder Sonntag.

„Wie sieht´s bei euch aus?“, fragte ich. Sandra war für Samstagabend schon mit ihrem Freund verabredet, Stefan und Andi bis Sonntagmittag nicht da, Macho war es egal, Petra sagte für Sonntag zu – sie und Macho   sind aber Wackelkandidaten, das wusste Yvonne und das wusste ich. Ich selbst hatte am Sonntag KiGo, daher war die Zeit knapp. „Ich versuch´s am Sonntagnachmittag“, sagte ich. „Am Vormittag kann ich nicht. Wird aber Stress mit meinen alten Herrschaften geben, von wegen zu wenig Zeit zum Lernen.“

 „Wieder dein komischer Kindergottesdienst? Ich versteh’ nicht, was du daran findest. Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm´!“, gab Yvonne mit gefalteten Händen und Pseudo-Kinderstimme zurück

. „Sei so lieb und halt’s Maul!“, sagte ich. „Schon gut, war nicht böse gemeint. Sandy, hol dein Geld raus, wir müssen jetzt!“ Tatsächlich waren es noch zehn Minuten bis zum Rückkehrtermin. Weiß kann sehr unangenehm sein, wenn man zu spät kommt, deshalb beeilten wir uns und zahlten an der Theke, weil die Bedienung nicht kam.

 

 Auf dem Weg vom Treffpunkt zum Bahnhof war plötzlich Katha neben mir. Sie war die ganze Zeit mit im Café gesessen, doch wie üblich war sie neben Yvonne ziemlich untergegangen. Die beiden sind meistens zusammen, obwohl sie recht unterschiedlich sind: Yvonne, die früher oft mit uns Jungen zusammen gespielt hatte, sieht topp aus, schlank, sportlich und blond, immer nach der neuesten Mode angezogen, ist nicht auf den Mund gefallen und hat Eltern mit Geld. Fast alle Jungen waren schon hinter ihr her, doch sie nimmt nicht jeden Hergelaufenen – niemand weiß, ob sie einen Freund hat oder nur ihren Marktwert steigern will. Andi hat auch schon gemeint, dass sie vielleicht lesbisch ist – das glaube ich aber nicht. Katha dagegen ist eher still. Eigentlich sieht sie mit ihrer Figur, ihrem schmalen Gesicht und ihren langen, schwarzen Haaren auch sehr gut aus, aber sie macht wenig aus sich. Man sieht sie fast nur mit Schlabberjeans und weitem Pullover.

 Nun Katha, von der ich nicht mal genau gewusst hatte, wie ihre Stimme klingt, sprach mich wegen KiGo an. „Hab gar nicht gewusst, dass du so was machst. Hätte ich dir auch nicht zugetraut. Wie bist du dazu gekommen?“ Dass Katha mich verarschen wollte, hielt ich für ausgeschlossen. „Eigentlich weiß ich das auch nicht so genau. Meine große Schwester hat früher mal mitgemacht und nach meiner Konfirmation haben sie Leute gesucht. Ich bin dann mit ein paar anderen dazu, bloß sind die anderen schon weg.“

„Was macht ihr dort?“ – „Na ja, wir spielen halt Geschichten aus der Bibel nach und machen auch sonst noch Spiele mit den Kindern. Ist eigentlich immer ganz lustig. Glaub nur nicht, dass die Kids immer nur still da sitzen und beten!“

 - „Klar! Wär' auch langweilig. Bist du dann wohl ziemlich gläubig?“

 „Gute Frage“, musste ich ehrlich antworten. „Ich glaube, als Konfirmand war ich mehr von Jesus begeistert. Ja, ich glaub’ schon an Gott. Aber bei vielen Sachen, die in der Bibel stehen, bin ich mir nicht so sicher. Das mit der Jungfrauengeburt kann ich zum Beispiel nicht glauben. Unser Vikar hat da mal darüber gepredigt, dass das auch nicht wörtlich zu nehmen ist, sondern damit nur die Nähe von Jesus zu Gott herausgestellt wird - aber ganz verstanden hab ich das nicht. Aber eine von unserem KiGo-Kreis hat sich dann wahnsinnig aufgeregt, hat gesagt, dass er kein Christ mehr ist und so. Also, eigentlich mach ich eher mit, weil es immer wieder lustig ist mit dem Kleingemüse.“

Katha erzählte, dass sie eigentlich auch gläubig ist. Sie geht jeden Sonntag in die Kirche (sie ist katholisch), aber versteht auch vieles nicht. „Ich würde manchmal ganz gern mit Leuten darüber reden, aber meine Eltern haben auch nur das drauf, was sie früher mal auswendig gelernt haben, die Yvonne interessiert sich nicht dafür und in meiner Gemeinde gibt es nichts für Jugendliche. Meine alte Gruppe gibt es nicht mehr, weil einer nach dem anderen weg ist.“

Wenn ich es mir richtig überlege, gibt es in meiner Gemeinde auch nicht viele Möglichkeiten für Jugendliche. Wir bereiten Kindergottesdienste vor, aber haben selbst keine Ahnung und im normalen Gottesdienst verstehe ich auch nichts – wenn ich überhaupt rechtzeitig aus dem Bett komme. Anja vom KiGo-Team geht in einen Hauskreis, manche von uns waren schon öfter dabei, ich auch einmal, doch da hat auch nur der Leiter geredet und als einmal einer widersprochen hat, da hat er ihn gleich fertig gemacht. Außerdem hat Anja selbst gesagt, es läuft sehr verpflichtend. Entweder du kommst jede Woche und liest als Hausaufgabe das nächste Stück in der Bibel, oder du brauchst gar nicht kommen. Und jede Woche, das schaffe ich nicht.

 Auch im Zug saß Katha neben mir und erzählte noch mehr von sich, von ihren Eltern, ihrem behinderten Bruder und von Radtouren mit Yvonne und anderen. Auch ich erzählte von mir und schließlich beschlossen wir, am Samstag eine kleine Radtour zu machen und uns nachher noch bei mir zu treffen. Das soll noch kein Date sein – obwohl, so übel scheint sie nicht zu sein...

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