Die Villa der Sieders lag in einem parkartigen Garten in Laufamholz. Von der Straße aus war das Wohnhaus schlecht einsehbar. Auch die Nachbarn schienen durchwegs keine armen Leute zu sein: Es waren lauter freistehende Einfamilienhäuser und zu den meisten gehörte mehr als eine Garage. Bei den  wenigen Autos, die an der Straße geparkt waren, handelte es sich durchwegs um teure Modelle, sodass der Nissan der Kommissarin auffiel.

Birgit Peters sah sich um: In der Straße gab es kein Geschäft; auch in der Querstraße hatte sie keines gesehen. So war wohl weder damit zu rechnen, dass außer Joggern sehr viele erwachsene Menschen zu Fuß unterwegs sein würden noch damit, dass jemand längere Zeit im Auto wartete – die klassischen Möglichkeiten, eine Straße unauffällig zu überwachen, fielen aus.

 Sie parkte ihr Auto, stieg aus und schaute durch den Zaun um das Grundstück der Sieders. Durch die Hecke dahinter konnte sie nicht sehen, ob jemand in oder vor dem Haus war.

 Ein VW-Golf hielt schräg gegenüber, ein Garagentor öffnete sich, das Auto fuhr hinein und ein junges Mädchen verließ Auto und Garage.

„Kann ich Ihnen helfen?“, rief sie über die Straße, während das Garagentor sich schloss.

„Ähm…Ja, wissen Sie, wann Frau Sieder zurückkommt?“

 „Meinen Sie die Mutter oder die Michi?“

 „Ich schätze, die Mutter. Ich kenne ihren Vornamen nicht.“

 „Die kommt selten vor sieben Uhr heim – aber die Michi, also die Tochter, wollte bloß noch was einkaufen; dürfte so in einer halben Stunde kommen. – Kann ich was ausrichten, wer Sie sind?“

 „Es ging um eine Beratung für eine Geldanlage.“ Sie hätte sich am liebsten geohrfeigt: Für eine Anlageberaterin, zumal in dieser Gegend, war sie bei weitem nicht angemessen gekleidet, zumal diese meist vorher Termine vereinbarten.

 Die andere Frau schien jedoch keinen Verdacht zu schöpfen. „Schade für Sie“, kommentierte sie nur.

 

 Die Kommissarin stieg wieder in ihr Auto und fuhr die Straße entlang. Hier an der Ecke standen mehrere Autos, da sich dort eine Arztpraxis und ein Schönheitssalon befanden. Sie parkte und stellte fest, dass sie von hier aus die Straße überblicken konnte. Zu lange im Auto sitzen durfte sie freilich auch hier nicht.

 Sie ging in den Schönheitssalon und ließ sich wegen Haare färben und Beine enthaaren beraten und einen Termin geben – ob sie ihn wahrnehmen oder absagen würde, könnte sie immer noch entscheiden. Anschließend ging sie zum Auto zurück. Dass ihr Sohn oder ihre Tochter beim Arzt war und sie im Auto wartete, bis das Kind herauskam, wäre wohl glaubhaft.

 

 Viel Verkehr war nicht: Ein Mann kam aus der Arztpraxis, stieg in sein Auto und fuhr weg. Weiter vorn verließ ein Sportwagen ein Grundstück, doch fuhr er in die Gegenrichtung, sodass die Kommissarin nicht einmal sehen konnte, ob ein Mann oder eine Frau am Steuer saß. Anschließend kam ein Roller von der Hauptstraße her.

 Beinahe hätte die Polizistin übersehen, dass das Zweirad zum Grundstück der Sieders fuhr. Sie startete selbst den Motor und nahm im Vorbeifahren wahr, dass das Außentor noch geöffnet war. Durch dieses konnte sie die ebenfalls offene Garage sehen, in der sich tatsächlich der silberne BMW befand.

 Die Rollerfahrerin stieg ab und nahm ihren Helm ab, sodass Birgit Peters ihr Gesicht sah: Kein Zweifel, es handelte sich um die gesuchte Michaela.

 Diese ging jedoch nicht ins Haus, sondern legte ihren Helm ab, schloss Garagen- und Grundstückstor hinter sich, überquerte die Straße und läutete ausgerechnet an der Türe des Hauses, in das die andere junge Frau gegangen war.

Somit war zu befürchten, dass Michaela Sieder erfahren würde, dass jemand sich nach ihr oder ihrer Mutter erkundigt hatte, zumal sonst kein Fremder in der Zeit hier unterwegs gewesen war.

 Die Kommissarin fuhr langsamer und schaute nochmals auf das Display ihres Handys: Das Foto war eindeutig genug, dass ihr der Verdacht egal sein konnte: Die Fahrerin dieses Rollers war jene Michaela, die mit Sebastian Lämmermann liiert gewesen war.

 

 

 „Danke, Evi, das ist voll lieb von dir. Ich bin einfach nicht dazu gekommen, das selber fertigzumachen.“

 „Ist doch klar, Michi, schließlich bin ich deine beste Freundin – trotz allem, was in letzter Zeit gelaufen ist.  – Übrigens: Hat die Tante mit dem Nissan dich noch erwischt?“

 „Was für ne Tante? Hab ned aufgepasst, wer hier mit welchem Auto unterwegs war.“

 „Hat gesagt, sie wollte mit deiner Mutter was klären wegen Anlageberatung. War dann aber länger hier unterwegs und ist so ungefähr weggefahren, wie du gekommen bist.“

 „Nie im Leben! Wenn meine Mutter irgendwelche Leute ins Haus bestellt, dann entweder zu einem Termin, wenn sie da ist, oder sie sagt halt mir Bescheid.“

 „Ist mir auch komisch vorgekommen. Hast du ne Ahnung, was die sonst gewollt haben kann?“

 „Bin ich Hellseherin?“

„Geklaut hat sie wohl nichts. Zumindest hat sie nicht versucht, über euren Zaun zu klettern. Ihr Kennzeichen hab ich mir übrigens aufgeschrieben.“

„Danke dir! Na hoffentlich! Vielleicht kann sich die Mama nen Reim darauf machen.“

Eva kicherte: „Weißt du, was ich mir schon gedacht hab: Dass die von der Polizei ist.“

 Michaela erschrak: „Wie kommst ‚`n da drauf?“

„Ich mein, deinem Vater wollen sie doch öfter was anhängen, oder?“

„Aber dann spionieren sie nicht hier rum. Mein Vater wohnt schon seit acht Jahren nicht mehr hier und Frank arbeitet nicht in seiner Firma – und wenn sie meinem Vater oder meiner Mutter was anhängen wollten, hätten sie wohl eher jemanden dort eingeschleust.“

„Hört sich logisch an. – Wann hast du morgen Schule?“

 „Um acht Uhr Spanisch, aber ich geh nicht hin.“

„Ich hab offiziell erst um dreiviertel zehn. Wenn du Lust hast, können wir zusammen fahren.“

 „Dann aber mit dem Roller, wenn das Wetter halbwegs ist. Nach neun tu ich mir das nicht freiwillig an, dort nen Parkplatz zu suchen. Oder hast du nen Geheimtipp?“

„Am ehesten noch auf der anderen Seite von der Sulzbacher, aber auch nicht wirklich sicher. Hast schon Recht.“

„Okay, dann geh ich mal rüber; irgendwann sollt‘ ich doch mal Hausaufgaben machen. – Hast du heute Abend noch was vor?“

„Wohl nicht. Der Stefan muss heute arbeiten – und ich bin nicht du.“

„Was soll das heißen?“

„Nichts. So halt. – Du bist doch noch mit dem Dani zusammen, oder?“

„Ja, und am Wochenende kommt er sogar und am nächsten fahr ich nach Passau.“

„Schon gut, Michi! Ich will ja gar nichts sagen – bin bloß neugierig.“

„Ja, ich bin noch mit ihm zusammen; das heißt aber nicht, dass ich die Woche über oder gar am Wochenende, wenn er nicht kommen kann, bloß daheim rumhängen muss.“

„Michi, du brauchst dich nicht zu verteidigen. Das ist deine Beziehung und meine mit dem Stefan ist meine. Ich hätt nicht mal was dagegen, wenn du jeden Tag mit jemand anderem rumknutschen würdest – mit einer Ausnahme natürlich.“

 „Das ist wohl Ehrensache, dass der Freund der besten Freundin tabu ist, was immer du sonst über mich denkst. – Aber jetzt muss ich wirklich.“

 „Okay, mach’s gut! Und viel Spaß mit den Hausaufgaben!“

 

 Michaela Sieder war ungehalten, als sie erneut von der Polizei angerufen wurde:  „Ich habe gesagt, dass ich diesen Mann nicht kenne.“

 „Frau Sieder, Sie wurden auf einem Bild identifiziert und auch Ihr Auto wurde gesehen“, sagte Kommissarin Peters ruhig. „Sie sind nicht verdächtig, aber Sie sind verpflichtet, nach bestem Wissen auszusagen und nichts zu verschweigen, es sei denn, Sie würden sich selbst, Ihre Eltern, Ihre Geschwister oder Ihren Ehepartner belasten. Sie haben natürlich das Recht, einen Anwalt zu konsultieren, aber wenn Sie die Aussage verweigern, können wir Sie vorführen lassen; wenn andere Zeugen Sie dann erkennen, kann das für Sie bedeutend unangenehmer werden.“

 „Okay, das Recht, mit einem Anwalt zu sprechen, nehme ich mir aber.“

 

 Sie erschien dennoch zwei Tage später ohne Anwalt auf dem Präsidium. Ihr Gesicht und ihre Haare waren perfekt gestylt, ihre Kleidung ausgesucht: Kaschmirpullover, Designerjeans, teure Stiefel. Mit ihrem Aufzug konnte sie allerdings nicht ihre Unsicherheit überspielen.

 Hauptkommissar Kröber und Kommissarin Peters stellten sich vor und boten ihr an, sich zu setzen.

 „Woher kannten Sie Herrn Lämmermann?“

 „Wir haben uns im August auf dem Volksfest kennengelernt. Ich…ich bin in die Beziehung eigentlich mehr reingeschlittert.“

 „Sie brauchen uns keine Details über Ihre Beziehung zu dem Ermordeten zu nennen“, sagte die Kommissarin freundlich. „Hatte Ihr Freund Feinde?“

 „Nicht dass ich wüsste. Über diesen Fanclub weiß ich wenig; ich interessier mich absolut nicht für Fußball. Den Jonas kenn‘ ich, weil der Basti ihn mir mal vorgestellt hat, und den Gökhan, weil er das Anfängertraining gemacht hat – ich hab mit Kickboxen angefangen, im gleichen Verein wie der Basti.“

 „Seinetwegen?“, fragte die Kommissarin neugierig. „Entschuldigung, Sie müssen…“

 Das junge Mädchen schüttelte den Kopf: „Ich wollte schon länger wieder mit Kampfsport anfangen und als er mir erzählt hat, dass er Kickboxen macht, hab ich gedacht, ich schau’s mir mal an und wenn das Anfängertraining so stattfindet, dass ich Zeit hab und es mir halbwegs Spaß macht, bleib ich dabei.“

„Gut, das hat wenig mit der Sache zu tun“, mischte sich Hauptkommissar Kröber ein. „Dass der Herr Lämmermann sich mit jemandem heftiger gestritten hat, wissen Sie nicht.“

 „Nicht wirklich.“ Sie überlegte. „Klar, er hat über seinen Chef geschimpft und über seine Mutter, weil sie von ihm Kostgeld verlangt hat und die normalen Sachen halt.“

 „Und er hat Ihnen nie erzählt, dass er irgendwie mit Randalen zu tun hatte?!“

 „Nein. Er hat gesagt, er interessiert sich für Fußball, Schlägereien will er vermeiden – und er hat auch gesagt, wenn man ein bisschen aufpasst, ist das nicht schwer.“

 „Sie können sich also nicht erklären, warum er in eine Messerstecherei geraten ist?!“

 „Nein, absolut nicht. Ich hab ihn auch nie mit Messer gesehen.“

 „Haben Sie seine Mutter oder er Ihre Eltern kennen gelernt?“, übernahm nun wieder Kommissarin Peters das Verhör.

 „Nein. Er wollte nie, dass ich mit zu ihm gehe – er hat sich, glaube ich, geschämt wegen seiner Mutter – keine Ahnung, ob sie gesoffen hat oder sonst was. Und meine Eltern wissen gleichfalls nichts – und“ – Sie wurde schärfer im Ton, obwohl ihre Stimme zitterte. „Ich verlange, dass das so bleibt.“

 „Wenn Ihre Eltern nichts mit der Sache zu tun haben, wonach es im Moment aussieht, werden sie von uns nichts erfahren“, beruhigte die Kommissarin sie.

 „Eine letzte Frage: Freunde Ihres verstorbenen Freundes bezeichnen Sie – Sie großgeschrieben –als verschlossen…“

 „Wenn Sie meinen, ich hätte was zu verbergen: Nein. Aber, wie gesagt, ich bin in die Beziehung reingerutscht – der Basti und ich waren an dem Abend beide besoffen, Volksfest halt. Später hab ich gemerkt, dass ich ihm mehr bedeute und er was Dauerhaftes will. Ich wollte das nicht zumal… zumal meine Eltern bestimmt dagegen gewesen wären und ich mit ihnen keinen Ärger haben wollte. Auf der anderen Seite fand ich ihn nett und wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen. Ich hab nach einer Gelegenheit gesucht, es ihm zu sagen – inzwischen wollte ich vermeiden, dass er mich in seinem ganzen Freundeskreis als seine künftige Frau vorstellt und die gleichen Leute mich dann für eine Billignutte gehalten hätten.“

 „Doch noch eine weitere Frage: Seine Beerdigung. Warum waren Sie nicht dort und warum haben Sie den Kranz selbst ans Grab getragen?“

 „Ich wusste zuerst nicht recht, wie ich reagieren sollte. Dann hab ich am Tag der Beerdigung erst bei der Gärtnerei angerufen und die haben den Kranz natürlich nicht mehr fertig gekriegt. Am nächsten Tag bin ich hin, hab gezahlt und gesagt, sie sollen mir den Kranz geben, dass ich ihn aufs Grab legen kann. Der Gärtner hat gesagt, er kann das machen; ich hab darauf gesagt, das ist nicht notwendig. Ich wusste nicht, dass das total unüblich ist und auch nicht, wie schwer so ein Teil ist – ich hab bisher zum Glück noch keine Beerdigung miterlebt.“

 „Bleiben wir beim Wichtigen!“, fasste Kröber zusammen: Sie wissen nichts davon, dass Ihr Freund vor seinem Tod in gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt war; sie wissen auch nichts davon, dass er Feinde gehabt hatte, die ihm ans Leben gewollt haben könnten. Auch sonst können Sie sich nicht erklären, warum jemand Ihrem Freund nach dem Leben getrachtet haben könnte.“

 „Genau, Herr Kommissar!“

 Sie war sichtlich erleichtert, als die Befragung zu Ende war.

 

 „Was meinst du? Sie scheint wirklich nichts zu wissen“, stellte Kröber fest, als Michaela Sieder gegangen war.

 „Das wohl nicht, aber mir ist ein Gedanke gekommen: Das Milieu, aus dem Sebastian Lämmermann kam und das ihre passen nicht zusammen – deshalb hatte sie wohl auch ein Problem mit der Beziehung, vor allem, dass ihre Eltern etwas erfahren könnten. Wenn er nun ihretwegen Schulden gemacht hat oder in kriminelle Geschichten verwickelt war…“

 „Komm, lass das! Jemand wie die lässt sich nicht mit Geld rumkriegen.“

 „Rumkriegen vielleicht nicht, aber bereits, sie irgendwohin einzuladen oder mit ihr

in die Disko zu gehen – ich schätze, sie verkehrt in Läden, wo es Kleiderordnung gibt und Eintritt und Getränke entsprechend kosten; das geht für einen Bauarbeiterlehrling schnell ins Geld, vor allem, wenn er noch Kostgeld zahlen muss.“

 „Meinst du womöglich, er ist umgebracht worden, weil er irgendwem nichts mehr hat zahlen können – mitten im Gedränge nach einem Fußballspiel?!“

 „Wer weiß?! Eine Prügelei vom Zaun zu brechen ist in einer solchen Atmosphäre leicht und man kann durchaus auch unauffällig das Messer ziehen – und außerdem galten beide Fanclubs bisher als friedlich. Obendrein soll Cenk Bayraktar ihn ja gezielt angegriffen haben.“

 „Sagt ein Zeuge, Birgit, einer von zehn oder elf. Die anderen sagen was anderes. So kommen wir nicht weiter.“

„Ich sag ja gar nicht, dass ich Recht haben muss, aber ausschließen würde ich es nicht.“

 „Warum nicht gleich klotzen? Wir können auch ned ausschließen, dass der Lämmermann, Gott weiß wie, mitgekriegt hat, dass der Sieder in kriminellen Geschäften drinhängt oder für ihn Drecksarbeiten gemacht hat.“

 „Steht überhaupt fest, dass Bernd Sieder ihr Vater ist?“

 „Du weißt doch sonst immer alles besser, was Gesetze angeht: Die junge Dame ist volljährig und braucht praktisch niemandem sagen, wer ihre Eltern sind, wenn sie nicht will. Das Haus läuft auf eine Andrea Sieder.“

 „Und ist sicher zu groß und zu teuer für eine alleinerziehende Mutter.“

 „Weißt du was? Krieg’s raus! Irgendwo gibt’s bestimmt ne Biografie von dem Kerl, in der auch drinsteht, ob er schon mal verheiratet war und ob er Kinder hat. Dann wissen wir’s.“

 

 

An der Brücke über die S-Bahn bei der Haltestelle Fürth-Unterfarrnbach standen ein Mann in einem Jeansanzug mit kurzgeschnittenen, dunkelblonden Haaren und ein Mädchen in einem roten Anorak und einer schwarzen Jeans, dem Aussehen nach Ausländerin, doch sprach sie Deutsch mit fränkischem Einschlag. Sie unterhielten sich zunächst ruhig, dann immer heftiger, was jedoch im Nachmittagsverkehr der Würzburger Straße unterging.

„Verpiss dich, hab ich gesagt!“ Das Mädchen funkelte den jungen Mann mit ihren dunklen Augen böse an.

„Mann! Ich will dir doch nichts Böses!“

„Dann hau ab und mach jemand anderen an!“

 „Wer sagt, dass ich dich anmachen will? Ich will dir doch nur den Ärger ersparen, den du sonst kriegst.“ Er ging einen Schritt auf sie zu, worauf sie in Richtung seiner Weichteile trat. Instinktiv wich er zurück und sah, dass sie eine Spraydose in der Hand hielt. Natürlich konnte sie nur bluffen und in der Dose war Haarspray oder Parfüm, doch damit, dass sie Pfefferspray bei sich hatte, musste er ebenso rechnen wie damit, dass sie mit voller Wucht in seine Genitalien treten würde, wenn sich ihre Wut noch steigern sollte. Mädchen von der Hardhöhe, der Billinganlage oder aus der Südstadt waren alles andere als zarte Prinzessinnen.

„Also, was hast du den Bullen gesagt? Denk dran, der nächste, der kommt, fragt nicht so freundlich.“

„Aber er wird die gleiche Antwort kriegen: Das geht dich nen Scheißdreck an.“

„Und was ist, wenn er dein kleines Geheimnis deinen Eltern erzählt?“

Sie holte aus und ließ ihre Faust vorschnellen, zog sie aber noch im letzten Moment zurück: „Was immer der Olli dir erzählt hat: Ich hab nicht mit ihm geschlafen und schon gar nicht bin ich schwanger.“

„Meinst du, deine Eltern sehen das auch so cool?“

„Dass ich mit ihm zusammen war, wissen sie – also was gibt’s da zu diskutieren? Und wenn du meinst, ich muss Angst um meine Jung-fräu-lich-keit haben: Die Männer, die wegen so was Zirkus machen, nehmen mich eh nicht, wenn sie das hier sehen!“ Sie holte ein rotes Medaillon mit sechs weißen Pfeilen unter ihrem Anorak hervor. „Das wär genauso wie wenn du mit Antifa-Stickern unter Naziweibern auf Brautschau gehen würdest, du vastehn?

„Hör zu, Hatice, eigentlich ist es mir scheißegal, mit wem du pennst…“

 „Mit dir jedenfalls nicht, falls du dir Hoffnungen machst.“

Er ging nicht darauf ein: „Aber hinter der Geschichte stehen noch andere Sachen, verdammt andere. Dein Bruder ist da in was reingeraten…“

„Wenn du mit meinem Bruder was auszumachen hast, dann mach‘s mit ihm aus und lass mich draußen, kapito?!“

 „Mensch, Mädle, du hast total keinen Tau! Was ich mit dir oder dem Cenk auszumachen hab, ist im Moment so dermaßen scheißegal – da sind andere Typen im Spiel und vor denen musst du Angst haben, auch wenn du selber mit ihnen nichts zu tun hast – du bist dem Cenk seine Schwester, das langt.“

„Das lass mal meine Sorge sein.“ Sie hatte ihre Körperhaltung nur unwesentlich geändert, doch fiel ihm auf, dass sie weit weniger sicher wirkte als vorher. So sprach er weiter: „Hör zu, ich glaub dir, dass du mit fast jedem Asi fertig wirst, der dich vögeln will oder dir Kohle wegnehmen, zumindest so weit, dass du rechtzeitig abhauen kannst. Aber die Leute, mit denen du es zu tun kriegen kannst, wenn dein Bruder oder du noch eine Dummheit macht, sind keine normalen Asis, sondern haben ne ganze Menge mehr drauf.“

 

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