Von BRDDR, EUdSSR und anderen Unrechtsstaaten

Es ist mittlerweile fast allgemein anerkannt, dass die erste deutsche Demokratie unter anderem dadurch scheiterte, dass linke und rechte Extremisten, Kommunisten auf der einen und Nazis und Wilhelminismus-Nostalgiker auf der anderen, sich gegenseitig dabei unterstützten, die Demokratie abzuschaffen.

Gott sei Dank sind diese Gruppen noch nicht stark genug, doch sind sie da und wieder helfen sie zusammen. Da sind auf der einen Seite die Rechtsnachfolger der SED, die es ablehnen, die DDR als das, was sie war, nämlich einen Unrechtsstaat, zu bezeichnen oder deren Sympathisanten, die brüllen: „Wenn die DDR ein Unrechtsstaat war, was ist dann die BRD?“ Auf der anderen Seite ist auf einschlägigen konservativen Seiten von der BRDDR und der EUdSSR die Rede und heißt es allen Ernstes, Deutschland sei heute wie die DDR in den 80er-Jahren. Hier werden Stasi und Verfassungs-schutz parallel gesetzt, dort spricht man von einer sozialistischen Zwangsgesellschaft aufgrund von Schulpflicht, Mindestlohn oder Waffengesetzen.

„Wir haben doch keinen Einfluss darauf, was die da oben machen“

In jeder größeren Gruppe von Menschen braucht es Regeln und müssen diese Regeln auch durchgesetzt werden können. Spielregeln gibt es im Fußball, Handball, Tennis und allen anderen Sportarten. Diese Regeln verhindern schwere Verletzungen, legen aber auch die Kriterien fest, nach denen der Beste in der jeweiligen Sportart bestimmt wird. Damit diese Regeln eingehalten werden, braucht es einen Schiedsrichter, der auch die Möglichkeit hat, im Falle eines Regelverstoßes Strafen auszusprechen. Dieser Schiedsrichter darf aber nicht nach Gutdünken entscheiden, sondern ist seinerseits an die Regeln gebunden. Ein mit der Hand erzieltes Tor zählt beim Fußball nicht, unabhängig davon, ob Spieler und Schiedsrichter das richtig finden.

Solche Regeln braucht es auch im Staat. Gesetze gab es im Römischen Reich, in den Staaten des Mittelalters, in der arabischen Welt, im Absolutismus, unter den Nazis, in der DDR und heute. Viele Dinge wie Mord oder Raub waren immer und überall verboten.

Insofern gibt es keinen Unterschied zwischen verschiedenen Staatswesen. Der Unterschied besteht zum einen darin, wie Gesetze zustande kommen:  Bestimmt sie der König oder Führer von Gottes Gnaden beziehungsweise die Partei, die immer Recht hat, allein oder gibt es Diskussionen über Vor- und Nachteile?
 Im Fall des Mindestlohngesetzes haben sich Befürworter und Gegner zu Wort melden und ihre Argumente vortragen können.  Deshalb mag man immer noch das Ergebnis für falsch halten, doch: Glaubt jemand ernsthaft, in der DDR wäre eine kontroverse Diskussion über Vorhaben der SED möglich gewesen? Glaubt jemand ernsthaft, in einer Zeitung in der DDR hätte ein Artikel erscheinen können, der einen von Honecker persönlich abgesegneten Vorschlag für unsinnig oder auch nur für schädlich für die Wirtschaft der DDR erklärt hätte?

„Polizei und Volkspolizei, Verfassungsschutz und Stasi, ist doch im Grunde dasselbe“

So wie es in jedem Staatswesen Gesetze gibt, braucht auch jedes Staatswesen eine Körperschaft, die für deren Einhaltung sorgt. Auch die beste denkbare Verfassung könnte nicht verhindern, dass es Verbrecher gibt.

Natürlich ist auch keine Polizei der Welt frei von Fehlern. Natürlich gibt es unter den deutschen Polizisten heute Idioten, Schläger und womöglich auch Faschisten. Allerdings gibt es in Deutschland eine ganze Sparte der Gerichte (Verwaltungsgericht), die sich ausschließlich mit Protesten gegen Entscheidungen der Behörden befasst. Wer zu Unrecht im Gefängnis saß, wer einen ungerechtfertigten Strafbefehl  erhalten hat, wem zustehende Sozialleistungen verweigert wurden oder wer trotz bestehender Qualifikation nicht studieren darf oder nicht in den Staatsdienst übernommen wurde, darf dies einklagen. Die Kriterien, nach denen dies entschieden wird, sind objektiv festgelegt.

In der DDR bestand nur die Möglichkeit zur Beschwerde bei der übergeordneten Behörde, eine Verwaltungsgerichtsbarkeit gab es nicht. Das war effektiv gegen Beamtenwillkür, politischen Gegnern nützte dies jedoch nichts. Wer nicht Abitur machen durfte, weil Zweifel bestanden, ob er / sie eine „ausgereifte sozialistische Persönlichkeit“ sei, hatte ebenso wenig Erfolgsaussichten wie jemand, der von der Stasi verhaftet wurde, weil er sich gegen die Verhaftung eines Kritikers eingesetzt hatte.

„Die Medien sind gleichgeschaltet, hier wie dort“

Die meisten Menschen, die das behaupten, kennen Ausnahmen: Die taz, die „Junge Freiheit“, den Kopp-Verlag, die „Junge Welt“ etc., je nach politischer Ansicht. Dort würden mutige Kämpfer die Wahrheit gegen den Mainstream vertreten. Sie müssten dafür mit öffentlicher Ächtung büßen.

Ja, wirklich? Ist der Kopp-Verlag oder der Aufbau-Verlag etwa nicht in Deutschland ansässig? Vertreiben sie etwa nicht ihre Medien regulär? Kann man vielleicht nicht sowohl die „Junge Freiheit“ als auch die „tageszeitung“ in zahlreichen Kiosken kaufen? Ich habe beide schon offen ausliegen gesehen, nicht unter dem Tisch, nicht in einem dunklen Keller verkauft, nicht heimlich in ein Paket geschmuggelt.

In der DDR konnte eine Zeitung, die grundsätzlich das Regime in Frage stellte, nicht erscheinen. Selbst dem Sozialismus grundsätzlich wohlwollend gegenüberstehende Personen wie Stephan Heym hatten Publizierungsverbot.

Mit Sicherheit: Man kann nicht propalästinensische Artikel im Springer-Verlag veröffentlichen, man kann nicht als Linker in der „Jungen Freiheit“ oder als Konservativer in der taz publizieren, doch man kann seine Ansichten innerhalb Deutschlands veröffentlichen.

„Früher gab es die Mauer in Berlin, heute an den EU-Außengrenzen“

Man mag über die Flüchtlingspolitik der EU denken, wie man will; sicherlich ist es unmenschlich, zu behaupten, die Situation in Afrika und Vorderasien gehe uns nichts an. Dennoch: Es ist ein Unterschied, ob man das eigene Volk einsperrt oder Staatsbürger anderer Länder nicht ohne weiteres ins Land lässt.
Bei aller Problematik, einen Staat mit einer Familie zu vergleichen: Niemand ist gezwungen, einen Fremden in seine Wohnung zu lassen; dagegen begeht derjenige, der einem anderen, außer den eigenen minderjährigen Kindern oder von ihm betreuten Personen, das Verlassen der eigenen Wohnung verweigert, Freiheitsberaubung. Diese Regelung gilt nicht nur in Deutschland, sondern nahezu weltweit.

„Die Unterschiede lagen nur in den technischen Möglichkeiten“

Zugegeben, in den 80er-Jahren gab es kein Internet und gab es auch in Westdeutschland überwiegend nur drei Fernsehprogramme, auf die die Politik massiv Einfluss nahm.
Wer allerdings meint, im Internetzeitalter sei keine Zensur mehr möglich, möge sich über China oder Nordkorea informieren. Wer meint, die politische Diskussion in der alten BRD sei ebenso eingeschränkt gewesen wie in der DDR, möge sich damalige Zeitungsausgaben ansehen. Kritik an Honecker in einer DDR-Zeitung vor 1989? – Nicht möglich. Kritik an Kohl in der BRD damals? – Nahezu in jeder zweiten Zeitung, sehr häufig auch im Fernsehen.

 „Wir reden heute aus der Siegerperspektive über die DDR. Das ist arrogant“

Sicher, wir können heute deshalb über die DDR diskutieren, weil wir nicht mehr in ihr leben. Wir wissen heute, dass das Experiment Sozialismus in Deutschland wirtschaftlich und politisch fehlschlug. Darüber zu sprechen ist nicht arrogant, sondern notwendig.

Wenn wir uns heute Gedanken darüber machen, warum so viele Menschen Hitler nachfolgten, so geschieht das auch aus der Siegerperspektive: Hätte Hitler den Krieg gewonnen, wären solche Diskussionen gar nicht möglich.

Die Frage, warum sich Menschen anfangs für die DDR begeistern konnten und warum dieser Staat letztlich scheiterte, ist auch für uns heute bedeutend. Welche Fehler bestehen nach wie vor? Und wie kann man vergleichbare Willkürherrschaft und Ineffektivität verhindern?

„Die BRD ist auch nicht perfekt“

Sicherlich nicht. Nur kann man heute über die Möglichkeiten, wie man es besser machen kann, kontrovers diskutieren. Wer einen höheren Mindestlohn oder die Abschaffung des Mindestlohns, ein lockereres oder ein noch strengeres Waffengesetz, ein großzügigeres oder strengeres Asylgesetz etc. will, kann dafür öffentlich eintreten, durch Beiträge in den Medien, durch Demonstrationen oder durch Mitarbeit in einer Partei, die Entsprechendes fordert.

Wer Deutschland heute mit der DDR gleichsetzt, sagt damit letzten Endes

--      dass es dasselbe ist, ob jemand wegen seiner politischen Meinung oder wegen eines Verbrechens im Gefängnis sitzt.

--      dass  die Nichtzulassung zum Studium aus dem Grund, weil jemand das Abitur nicht besteht und aus dem Grund, weil die Eltern in einer dem Staat nicht genehmen Gruppe politisch aktiv sind, gleichzusetzen ist.

--   dass die Kritik am Staatsoberhaupt und der Aufruf zu Mord rechtlich gleichzusetzen sind.

--     dass es ihm egal ist, ob er Angst davor haben muss, dass die eigenen Kinder ein Gespräch mit Bekannten mithören und in der Schule darüber reden könnten oder nicht.

Es kann sein, dass in Deutschland wieder eine Diktatur entsteht. Sich dagegen zu engagieren, solange wir die Möglichkeit haben, ist unsere Pflicht. Wer das DDR-Unrecht relativiert, sei es, indem er die DDR zu einem an sich guten Staat mit einzelnen Mängeln verklärt, sei es, weil der behauptet, Deutschland heute sei nicht anders, wird sich womöglich sehr wundern, wenn er tatsächlich in einer DDR 2.0. aufwacht – und dann eben im Gefängnis landet, weil er die Regierung kritisiert hat.

 

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