Das Gen des Provokateurs oder Darf man den Islam kritisieren?

 Unter dem Titel „Das Gen des Provokateurs“ beschäftigte sich heute, am 31.8.2010, der Leitartikel der Nürnberger Zeitung mit den umstrittenen Aussagen Thilo Sarrazins. Man kann über dessen Aussagen geteilter Meinung sein und es ist weder biologisch korrekt noch dient es seiner Sache, dass er von einem gemeinsamen Gen aller Juden gesprochen hat.

 Was allerdings der Kommentar des NZ-Journalisten Dieter W. Rockenmaier dazu sagt, ist ungleich problematischer:

 „Muss eine auf Toleranz bauende Demokratie islamkritische Texte und unfreundliche Bemerkungen über Juden ertragen? Ja – wenn es sich um die Meinung eines Privatmanns handelt und diese nicht im Verdacht der Volksverhetzung stehen. Nein – wenn es Äußerungen eines namhaften Parteipolitikers und Vorstandsmitglieds der Bundesbank betrifft.“

 Bereits die Einstiegsfrage ist ein Skandal. Man stelle sich folgenden Satz in einer Zeitung vor: Muss eine auf Toleranz bauende Demokratie Texte ertragen, die die Katholische Kirche / die Gewerkschaften / die CDU / die SPD / die Arbeitgeberverbände... kritisieren?

 Eindeutige Antwort: Ja, sie muss – oder sie ist keine „auf Toleranz bauende Demokratie“ mehr. Kritik kann sachlich falsch oder sogar unsinnig (etwa wenn man den Gewerkschaften vorwerfen würde, die Interessen der Arbeitgeber zu wenig zu beachten oder den Anspruch eines Funktionärs einer Religionsgemeinschaft, dass seine Religion die wahre sei, kritisieren sollte), doch sie muss möglich sein. Eine pluralistische Gesellschaft lebt davon, dass jeder jeden kritisieren darf, solange er nicht zu Gewalt aufruft oder den anderen verleumdet.

 Letzteres hat Sarrazin unbestritten nicht getan. Man mag kritisieren, dass er mit seiner Aussage, er wolle nicht in einem mehrheitlich muslimischen Deutschland leben, die Ängste Rechtsradikaler vor Überfremdung bedient hat. Man mag kritisieren, dass er in seinem Buch Dinge vermischt, die man besser getrennt betrachten sollte – etwa fehlendes Grundwissen bei Schulabgängern und mangelnde Integrationsfähigkeit bestimmter Gruppen von Migranten – aber es muss möglich sein, Dinge zu sagen, die bestimmte Gruppen nicht passen.

 Sarrazin hat nicht deshalb mehr oder weniger Recht, seine Meinung zu sagen, weil er im Vorstand der Bundesbank ist. Seine Tätigkeit dort hat mit der Berechtigung seiner Thesen zunächst einmal nichts zu tun. Er hat das Recht, seine Meinung zu sagen, so wie jeder andere Bürger dieses Recht hat. Man mag seine Aussagen teilen oder nicht, man mag sie für glücklich halten oder nicht – wer ihm aber das Recht absprechen will, sich zu äußern, der muss sich fragen, wie er es mit der Demokratie hält.

 

Zurück