Einführung

Über die Aufhebung der Exkommunikation der Bischöfe der so genannten „Bruderschaft Pius X.“ im Januar dieses Jahres wurde in den Medien ausführlich berichtet. Dort wurde vor allem die Leugnung der Gaskammern durch Richard Williamson, einen der vier wieder aufgenommenen Bischöfe, betont.

 So verständlich es ist, dass die Medien bei diesem Thema sensibel reagieren, spielt es theologisch eine eher geringe Rolle. Es gibt eine Reihe anderer wichtiger Punkte in der Diskussion über die Bruderschaft, über die ich heute sprechen möchte.

 

 Zunächst sind zwei Irrtümer klarzustellen: Erstens: Die Exkommunikation, das heißt, den Ausschluss von allen Sakramenten und allen kirchlichen Ämtern, betraf nur die vier Bischöfe, die 1988 vom Gründer der Bruderschaft, Erzbischof Marcel Lefebvre, geweiht worden waren, nicht aber die Menschen, die Gottesdienste der Bruderschaft besuchen. Zweitens: Die Suspension, das heißt vor allem, das Verbot, Messen zu feiern, gilt weiterhin für alle Priester der Bruderschaft; sie sind also nicht wieder voll in ihre Ämter zurückgekehrt.

Was ist die Piusbruderschaft?

 Die Piusbrüder verstehen sich selbst als Gemeinschaft von Priestern, Ordensschwestern und Ordensbrüdern ohne spezielle Gelübde. Nach eigenen Angaben haben sie weltweit 491 Priester, 215 Seminaristen, 117 Brüder und 164 Schwestern. Die Zahl ihrer Anhänger kann nur geschätzt werden, da die Laien, die Messen der Bruderschaft besuchen, keine Mitglieder sind. Man geht von etwa

500 000 bis 600 000 Anhängern weltweit aus. Weitaus am meisten Anhänger, etwa 100 000, hat die Bruderschaft in Frankreich.

 

 Gründer der Bruderschaft war Erzbischof Marcel Lefebvre. Dieser wurde 1905 als Sohn eines Industriellen in der Nähe von Lille geboren. Sein Vater starb im Konzentrationslager, weil er Juden zur Flucht verholfen hatte. Außer Marcel traten noch vier seiner Geschwister die geistliche Laufbahn an.

 Dreißig Jahre, von 1932 bis 1962, war Lefebvre als Missionar in Afrika tätig. Er begann seine Missionstätigkeit in Gabun und wurde 1955 Erzbischof von Dakar (Senegal). Er galt als eifriger Missionar, lehnte jedoch damals schon die so genannte „angepasste Mission“, das heißt, die Aufnahme afrikanischer Bräuche in die katholische Liturgie und Verkündigung, strikt ab.

 Lefebvre war Mitglied des Ordens der Spirituaner und von seinem Rücktritt als Erzbischof von Dakar im Jahr 1962 bis 1968 deren Generaloberer. In dieser Funktion nahm er am 2. Vatikanischen Konzil teil.

Das 2. Vatikanische Konzil

 Das 2. Vatikanische Konzil wurde von Papst Johannes XXIII. im Jahr 1962 einberufen. Ziel dieses Konzils war nicht die Klärung theologischer Streitfragen. Vielmehr wollte der Papst „frischen Wind in“ die katholische Kirche bringen, das heißt, sie in ihrer Erscheinung für die Moderne öffnen. – Eine Anekdote erzählt, dass Johannes auf die Frage, warum er ein Konzil einberief, das Fenster öffnete und sagte „Ecco! – deshalb!“

 

 Dieser „Frische Wind“ stand im Gegensatz zum Verständnis der Kirche als Burg gegen die Angriffe der Welt, das in der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Vatikanischen Konzil, also von etwa 1870 bis 1960, vorgeherrscht hatte. Kennzeichen jener Zeit waren ein Höchstmaß an Einheitlichkeit im Ritus und an hierarchischer, auf den Papst als alleinigen Herrscher zugerichteter Kirchenordnung. Nie vorher war die Macht des Papstes innerhalb der Kirche so umfassend gewesen. Etwa war bis ins 19. Jahrhundert in vielen deutschen Diözesen die Bischofswahl durch das Domkapitel üblich.

 

 Das Zweite Vatikanische Konzil änderte die Kirche nicht von Grund auf, setzte aber sehr deutlich neue Akzente.

 In der Erklärung „Nostra Aetate[1]“erkannte die katholische Kirche erstmals Wahrheiten in anderen Religionen an. So lobte sie den reichen Schatz an Mythen und die Askese im Hinduismus[2], die Anerkennung der Unvollkommenheit der Welt im Buddhismus und den Glauben an den alleinigen Gott im Islam[3]. Ebenso wurde betont, dass der „Alte Bund“ mit den Juden, den nach jüdischer und christlicher Überzeugung Gott mit Mose am Berg Sinai geschlossen hatte, weiter fortbestehe[4], was vorher zumindest nicht allgemeine Überzeugung der katholischen Kirche war.

 

 Neben dem Verhältnis zu anderen Religionen wollten die Konzilsväter auch die Beziehung zu anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften überdenken.

 

 Eine neue Liturgie wurde auf dem Konzil noch nicht beschlossen, jedoch forderten die versammelten Bischöfe, Brauchtum, Philosophie und Weisheit der verschiedenen Völker in die Tradition der Kirche einzubringen[5]. Auch für die Liturgie wurde ausdrücklich die Anpassung an die Traditionen der verschiedenen Völker gefordert[6]. Damit wandte sich die Kirche ein Stück von der über Jahrhunderte geforderten absoluten Einheit in der Liturgie (lateinische Sprache, barocke Messgewänder, weltweit nahezu einheitlicher Festkalender) ab.

 

 Außerdem forderte man, dass der Messritus in dem Sinn überarbeitet werden müsse, dass er für die einfachen Gläubigen besser verständlich sei und somit ihnen die aktive Teilnahme möglich sein müsse[7]. Auch die Muttersprache der Gläubigen sollte – anders als bisher – für die Liturgie zugelassen werden[8]. In diesem Sinn ist auch die Forderung zu sehen, dass der Wortgottesdienst in der Eucharistiefeier eine wichtigere Rolle spielen müsse und nicht nur als Vormesse, deren Versäumen keine Sünde sei, gelten dürfe.

 

 Das Konzil hielt zwar an der vollständigen Autorität des Papstes über die ganze Kirche fest[9], betonte aber auch die Eigenständigkeit der Bischöfe, die nicht nur Vertreter des Papstes seien sondern ihre Autorität direkt von Gott her bezögen. Die Bischofskonferenzen wurden erstmals von einem Konzil der gesamten Kirche erwähnt; nach Meinung der Konzilsväter sollten sie für die Anpassung der Lehre der Kirche an ihr kulturelles Umfeld zuständig sein. Bisher existierten die Bischofskonferenzen kirchenrechtlich nicht, auch wenn es sie etwa in Deutschland bereits gab.

 

 Die größte Neuerung des 2. Vatikanischen Konzils war allerdings, dass die Kirche sich der Forderung nach Religionsfreiheit anschloss[10] und ausdrücklich forderte, jede Religion müsse das Recht haben, ihre Kulte auch öffentlich zu feiern und Religion zu unterrichten. Dies war umso bedeutsamer, da hundert Jahre zuvor Papst Pius IX. die These, jeder Mensch habe das Recht, seine Religion frei zu wählen, verurteilt hatte[11]. Anders als öffentlich wahrgenommen war dies, nicht die liturgischen Veränderungen, auch der Hauptkritikpunkt Lefèbvres am Konzil.

 Eine weitere Konzilserklärung mit dem Titel „Nostra Aetate“ (In unserer Zeit) befasste sich mit dem Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Darin wurde die Zuflucht zu Gott, die Hindus suchen ebenso anerkannt wie die Erkenntnis der Buddhisten, dass die Welt ungenügend sei.[12] Ausdrücklich anerkannt wurde, dass die Moslems an den einzigen Gott glaubten. Was das Verhältnis der Kirche zum Judentum betraf,  wurde das Fortbestehen des Alten Bundes, also des Bundes Gottes mit Abraham, ausdrücklich anerkannt[13]. In der Konsequenz wurde später die Karfreitagsfürbitte für die Juden verändert: Die alte Bitte lautete:

 – Lasset uns auch beten für die treulosen Juden, daß unser Gott und Herr hinwegnehme den Schleier von ihren Herzen, auf daß auch sie Jesus Christus erkennen, unsern Herrn. Allmächtiger ewiger Gott, der du auch die jüdische Treulosigkeit von deiner Barmherzigkeit nicht fortstößt: Erhöre unsere Bitten, die wir ob der Verblendung jenes Volkes darbringen, auf daß sie das Licht deiner Wahrheit erkennen, das Christus ist, und ihrer Finsternis entrissen werden. Durch denselben Herrn usw.“

[Keine Kniebeuge]

„Allmächtiger ewiger Gott, du schließest sogar die treulosen Juden von deiner Erbarmung nicht aus; erhöre unsere Gebete, die wir ob der Verblendung jenes Volkes vor dich bringen: Möchten sie das Licht deiner Wahrheit, welches Christus ist, erkennen und ihrer Finsternis entrissen werden. Durch ihn, unseren Herrn.“[14]

 

Die heute für den ordentlichen Messritus vorgesehene Fassung lautet:

„Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will.
[Beuget die Knie. – Stille – Erhebet Euch.]
Allmächtiger, ewiger Gott, du hast Abraham und seinen Kindern deine Verheißung gegeben. Erhöre das Gebet deiner Kirche für das Volk, das du als erstes zu deinem Eigentum erwählt hast: Gib, dass es zur Fülle der Erlösung gelangt. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn. Amen.“[15]

 

 Auch die Fürbitte für die nichtkatholischen Christen wurde dergestalt geändert, dass deren Bekehrung zum katholischen Glauben nicht mehr ausdrücklich gefordert wurde. Die im letzten Jahr von Papst Benedikt vorgelegte Neufassung der „Judenfürbitte“ betrifft ausschließlich die Karfreitagsliturgie nach tridentinischem (außerordentlichen) Ritus. Sie spricht zwar ebenfalls davon, dass die Juden Jesus Christus als Retter der Menschen anerkennen sollten, ohne sie aber „treulos“ zu nennen und die Kniebeuge wegzulassen[16].

 

 Auch in der katholischen Familienlehre änderte sich etwas, da die Liebe zwischen den Ehepartnern als eigenständiger und gleichberechtigter Ehezweck neben der Zeugung von Nachkommen anerkannt worden war.

Reformen nach dem Konzil

In den Jahren nach dem Konzil wurden teils weltweit, teils in einzelnen Ländern, weiter gehende Reformen durchgesetzt als das Konzil eigentlich vorgesehen hatte. So verzichtete die Kirche weitgehend auf eine Einflussnahme auf die Politik.

 

 Am Augenfälligsten waren die Veränderungen für die katholischen Laien in der Liturgie: Die Volkssprache, vom Konzil lediglich zugelassen, wurde zur Regel. Statt vom Messopfer sprach man immer mehr vom „Abendmahl“ oder „Opfermahl“.

 In Deutschland begann nach Jahrzehnten der Kontroverstheologie, in der die Unterschiede zwischen den Konfessionen herausgestellt wurden und aufgrund der vereinzelt Geistliche sogar Kindern verboten, evangelische Freunde zu haben[17], eine Ära der ökumenischen Zusammenarbeit. In Lateinamerika begann mit der Gemeinsamen Konferenz der lateinamerikanischen Bischöfe in Medellín (Kolumbien), in deren Abschlusserklärung von der Armut der Kirche und der Berufung der Laien gesprochen wurde, die Ära der so genannten Befreiungstheologie[18].

 

 In Deutschland wurden nach der Würzburger Synode (1971-1975) [19] in den meisten Bistümern Pfarrgemeinderäte gewählt. Nach anfänglichen Bedenken hatte Papst Paul VI. den Bischofskonferenzen 1969 gestattet, die Handkommunion zuzulassen, wovon die Deutsche Bischofskonferenz als eine der ersten Gebrauch machte. Auch kirchlich beauftragte Laien dürfen seit der Würzburger Synode die Kommunion austeilen.

Die Kritik Lefèbvres an den Reformen

Gegen die Zulassung der Handkommunion protestierten durchaus nicht nur Anhänger Lefèbvres oder prinzipielle Gegner der Reformen des 2. Vatikanischen Konzils. In einigen Ländern, wie z.B. Polen, ist heute noch ausschließlich die Mundkommunion erlaubt.

 

 Die Kritik Lefèbvres und seiner Anhänger ging jedoch noch wesentlich weiter. Die tridentinische Liturgie war für sie die „Messe aller Zeiten“[20] oder „Die Messe von 20 Jahrhunderten“, an der es keinerlei Veränderung geben dürfe. Die Liturgie sei so wichtig, da aus einer neuen Liturgie eine neue Theologie folge[21].

 Die Aussage, dass der Messritus sich seit der Zeit der Apostel bis zum 2. Vatikanischen Konzil überhaupt nicht verändert habe, lässt sich so nicht halten und wird auch von neueren Publikationen der Bruderschaft nicht mehr vertreten. Vielmehr argumentiert die Bruderschaft heute, die tridentinische Messe sei der Höhepunkt einer organischen Entwicklung und ein Rückgriff auf apostolische Traditionen, während die Messe nach der Liturgiereform etwas grundsätzlich Neues sei[22]. Nach wie vor wird die Reform grundsätzlich abgelehnt und den Anhängern empfohlen, falls sie keine Möglichkeit zum Besuch einer Messe im tridentinischen Ritus hätten, lieber die Messe nicht zu besuchen als eine Messe nach dem Novus Ordo[23].

 Sie lehnten aber nicht in erster Linie die Liturgiekonstitution des Konzils und die liturgischen Veränderungen nach dem Konzil ab, sondern vor allem die Anerkennung der Religionsfreiheit und die Forderung nach der Neutralität des Staates. Nach Meinung des Erzbischofs und seiner Anhänger bedeutete dies eine Gleichstellung von Wahrheit und Irrtum. Irrtum jedoch dürfe lediglich geduldet werden, aber keine Rechte besitzen[24].

 Vor allem aber wandte Lefèbvre sich gegen die Ökumene und den Dialog mit nichtchristlichen Religionen. Ökumene war für ihn ein Kompromiss zwischen Wahrheit und Irrtum und lehnte es strikt ab, von den Protestanten als getrennten Brüdern zu sprechen[25]. Ja, er meinte sogar, durch Ökumene, Religionsfreiheit und Kollegialität der Bischöfe sei der Kommunismus im Vatikan eingezogen[26]. Lefèbvre berief sich dabei auf die Enzykliken „Mirari vos“ (Gregor XVI., 1832) und „Quanta Cura“ (Pius IX., 1864), in denen der Liberalismus, vor allem die Forderung nach Religionsfreiheit und Trennung von Kirche und Staat verurteilt wurden. Lefèbvre erklärte infolgedessen die Einheit von Kirche und Staat zum Idealzustand.

 

 Auch die Kollegialität der Bischöfe lehnte er mit dem Hinweis, diese sei eine Forderung, die der Französischen Revolution und ihrem Motto „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ entspringe. Er forderte, der Papst müsse die volle Autorität über die Kirche haben[27], da dies vom 1. Vatikanischen Konzil dogmatisch festgesetzt sei[28]. Den Bischöfen wollte er lediglich für die Dauer von Konzilien und Synoden Autorität zugestehen.

 

 Insgesamt war Lefèbvres Kirchenbild stark klerikal geprägt. Eine eigene Aufgabe der Laien außer dem Messbesuch lehnte er ab. Der Schweizer Dogmatiker Alois Schifferle beschrieb sein Kirchenbild als Burgenmentalität, d.h. unveränderlich und fest in Dogmatik und Morallehre, gesichert durch Disziplin und Geschlossenheit und unfehlbare Lehrsätze im Katechismus und nach außen repräsentiert durch Erhabenheit in Kirchenbau und Liturgie – weshalb Liturgie für ihn eine so wichtige Rolle gespielt habe[29]. Nach Schifferles Auffassung könne aber leicht aus Festigkeit Starrheit, aus Herrlichkeit Selbstherrlichkeit und aus Erhabenheit Weltfremdheit werden.

 

 Der Antisemitismus einiger Piusbrüder, in der Öffentlichkeit bekannt vor allem durch die Äußerungen des Bischofs Williamson, ist unbestreitbar, spielte aber für Lefèbvre persönlich keine Rolle. Für ihn waren die Juden wie Angehörige anderer Religionen Menschen, die sich zum katholischen Glauben zu bekehren hatten, um gerettet zu werden, ohne dass er sie deshalb im Speziellen als Feinde der Kirche ansah. Williamson ist jedoch keineswegs der einzige prominente Antisemit unter den Piusbrüdern. Auch Bischof Fellay, der Leiter der Bruderschaft, brauchte lange, um sich von Williamsons Äußerungen zu distanzieren. Der deutsche Obere der Bruderschaft, Pater Franz Schmidberger, bezeichnete die Juden in einem Brief an die deutschen Bischöfe noch im Oktober 2008 als Mörder Christi und erklärte, der Alte Bund sei mit der Kreuzigung Jesu durch die Schuld der Juden gebrochen. Er stellte sich damit ausdrücklich in Gegensatz zu Papst Johannes Paul II., der von den Juden als älteren Geschwistern im Glauben gesprochen hatte.

Der Beginn der Bruderschaft

 Im Jahr 1970 gründete Erzbischof Lefèbvre in Freiburg (Schweiz) eine Priester- und Seminaristenvereinigung – zunächst mit Erlaubnis des Diözesanbischofs François Charrière. Noch im gleichen Jahr erwarb er in Ecône im Kanton Wallis ein Haus, in dem er ein Noviziat für Freiburger Seminaristen errichtete. Dies erlaubte ihm der zuständige Diözesanbischof von Sitten, François Nester-Adam[30], jedoch gestattete er keine selbständige Priesterausbildung der Bruderschaft.

 Genau mit dieser begann Lefèbvre aber auf Bitten einiger französischer Seminaristen, die eine traditionelle Ausbildung wünschten, unverzüglich. Er begann mit vier Seminaristen, die Zahl stieg bis 1974 allerdings bereits auf 105[31]. Ein Jahr später allerdings widerrief der neue Bischof von Genf-Lausanne-Freiburg, Pierre Mamie, mit Zustimmung der Kurie die Erlaubnis für die Seminaristenvereinigung, die sein Vorgänger, Bischof Charrière, erteilt hatte. Lefèbvre argumentierte, dass die Auflösung durch Bischof Mamie ungültig sei, da ein ordnungsgemäß errichtetes Institut laut Kirchenrecht nur vom Papst aufgehoben werden könne[32]. Seine Gegner argumentierten, dass die Erlaubnis durch Bischof Charrière in dessen letzten Amtsjahr nur vorläufig erfolgt sei und Bischof Nester-Adam nie einen vollständigen Seminarbetrieb gestattet habe (s.o.).

 Papst Paul VI. untersagte Lefèbvre weitere Priesterweihen und erklärte die neugeweihten Priester der Bruderschaft für suspendiert, verbot die Bruderschaft allerdings nicht kanonisch.

 

 Im Jahr 1976 errichtete die Bruderschaft in München ihr erstes Priesterseminar in Deutschland, 1978 verlegte sie es nach Zaitzkofen – beides ohne die Erlaubnis der zuständigen Ortsbischöfe. Lefèbvre weihte dort, ebenso wie in Écone, regelmäßig Priester, wobei er sich darauf berief, dass sein Institut nicht explizit vom Papst verboten sei. Allerdings verbietet sowohl der Kodex des Kirchenrechts von 1917[33] als auch der neue Kodex von 1983[34] Priesterweihen ohne ausdrückliche Zustimmung des Bischofs, in dessen Diözese der Neupriester tätig sein wird.

 

 Im Jahr 1974 erklärte Lefèbvre in einer berühmt gewordenen Predigt: „Wir hängen mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele am katholischen Rom, der Hüterin des katholischen Glaubens und der für die Erhaltung dieses Glaubens notwendigen Traditionen, am Ewigen Rom, der Lehrerin der Weisheit und Wahrheit. Wir lehnen es hingegen ab, und haben es immer abgelehnt, dem Rom der neo- modernistischen und neo-protestantischen Tendenz zu folgen, die klar im Zweiten Vatikanischen Konzil und nach dem Konzil in allen Reformen, die daraus hervorgingen, zum Durchbruch kamen.“ Somit stellte er sich bewusst und ausdrücklich in den Gegensatz zu Konzil und Papst.

 Zwar wurde in den Messen der Piusbruderschaft stets für den Papst und den jeweiligen Diözesanbischof gebetet

 Lange duldete der Vatikan stillschweigend die Tätigkeit der Piusbruderschaft, ohne sich häufiger zu äußern. Die Bruderschaft selbst wirft den Päpsten Paul VI. und zunächst auch Johannes Paul II. vor, auf eine „biologische Lösung“ des Problems durch den Tod Lefèvbres gehofft zu haben[35]

 

 Um den Fortbestand der Bruderschaft nach seinem Tod zu sichern, kündigte Lefèbvre im Jahr 1988 die Weihe von vier Priestern der Bruderschaft zu Bischöfen an, den heute noch lebenden Bischöfen Bernard Tissier de Mallerais, Bernard Fellay, Richard Williamson und Alfonso de Galarreta. Papst Johannes Paul II. erklärte daraufhin in einem Schreiben an Erzbischof Lefèbvre, dass laut Kirchenrecht auf Bischofsweihen ohne päpstliche Erlaubnis die sich automatisch vollziehende Exkommunikation stünde[36]. Gleichzeitig bot er dem Erzbischof Gespräche über eine Rückkehr der Piusbrüder an. Lefèbvre lehnte jedoch ab und vollzog am 30.6.1988 die Weihen, worauf der Papst im Motu Proprio „Ecclesia Dei” am 2. Juli desselben Jahres die Exkommunikation Lefèbvres, der vier Neugeweihten und des Konzelebranten, Bischof Castro Mayer, amtlich feststellte. Verteidiger Lefèbvres beriefen sich später darauf, dass die Exkommunikation nichtig sei, da der Erzbischof aus einer zumindest subjektiv empfundenen Notlage heraus gehandelt habe. Als Gewährsmann benennt die Piusbruderschaft den Kanonisten Gerald Murrey[37].

 

 Während Johannes Paul II. gegenüber Lefèbvre hart blieb, errichtete er eine Kommission, die dafür zuständig war, Priester der Bruderschaft Pius X., die den Schritt vom 30.6.1988 nicht mitgehen wollten, „in die Kirche zurückzuholen“. Auf Vermittlung dieser Kommission wurde im selben Jahr die „Petrusbruderschaft“ gegründet, die ebenso wie die „Bruderschaft Pius X.“, die Messe ausschließlich im Tridentinischen Ritus feiert, jedoch den Papst vorbehaltlos anerkennt und sich nicht offen gegen das 2. Vatikanische Konzil stellt[38]

 Die Exkommunikation, also das Verbot, Sakramente zu spenden oder zu empfangen oder kirchliche Ämter zu übernehmen, galt bis zu seiner Aufhebung durch Papst Benedikt XVI. am 24.1.2009 für die sechs genannten Personen, nicht aber für die übrigen Priester der Piusbruderschaft, die lediglich suspendiert sind, d.h. keine Leitungsämter mehr übernehmen und keine Sakramente mehr spenden, wohl aber solche empfangen dürfen[39]. Diese gilt weiterhin für die Priester der Bruderschaft sowie alle, die sich in den nächsten Jahren dort zu Priestern weihen lassen, solange sich der kanonische Status nicht ändert.

 Für Laien, die Gottesdienste der Bruderschaft besuchen oder die Bruderschaft finanziell unterstützen, gelten dagegen keine kirchenrechtlichen Einschränkungen.

Diskussion um die Aufhebung der Exkommunikation

 Die Aufhebung der Exkommunikation erregte in der Öffentlichkeit vor allem deshalb Aufmerksamkeit, weil kurz davor Richard Williamson, einer der 1988 von Erzbischof Lefèbvre geweihten Bischöfe, im Interview mit dem schwedischen Fernsehen den Holocaust geleugnet hatte.

 Tatsächlich hat das Interview bereits im November 2008 stattgefunden, wurde aber erst im Januar 2009 ausgestrahlt. Williamson hatte sich allerdings schon früher ähnlich geäußert. Sowohl der Papst als auch der Vorsitzende der Kommission „Ecclesia Dei”, Kardinal Darío Castrillón Hoyos, erklärten, davon nichts gewusst zu haben. Dies ist eine Aussage, die aus dem Mund des Vorsitzenden der zuständigen Kommission etwas seltsam klingt.

 Kritiker der Aufhebung, unter anderem der frühere Tübinger Dogmatiker Peter Hünermann, erklärten, der Papst habe gegen das Kirchenrecht gehandelt, da dieses die Aufhebung der Exkommunikation nur gestattet, wenn der Exkommunizierte sein Tun bereut[40]. Bei keinem der vier Bischöfe ist allerdings ein Ansatz von Reue festzustellen. Vielmehr beanspruchte Tissier, dass die Piusbruderschaft den Inhalt der Gespräche mit dem Vatikan über die Rückführung ihrer Priester in den Weltklerus festlegen und Rom, nicht die Bruderschaft, sich ändern müsse[41]. Williamson lehnte sogar jeden Kompromiss, der ein Akzeptieren des Konzils beinhalte, ab[42].. Auch der Generalobere der Bruderschaft, Bischof Bernard Fellay, lehnt Kompromisse ab[43]. Er hatte bereits im Oktober 2008 erklärt: „Kardinal Castrillón Hoyos will uns Bedingungen abverlangen, bevor wir weiter vorwärts gehen, obwohl wir klar zum Ausdruck gebracht haben, dass wir einen einseitigen Akt erwarten. Er beurteilt unsere Haltung dem Obersten Hirten gegenüber als undankbar und vor allem als herablassend, eingebildet, da wir darin fortfahren, die Übel, die die Kirche befallen haben, offen beim Namen zu nennen[44].“

 Der Bischof verwendet hier m.E. eine Sprache, die verwundern muss, wenn man davon ausgeht, dass die Bruderschaft den Papst als höchste Autorität in allen Dingen akzeptiert und sogar die Einschränkungen durch das Konzil ablehnt, das die Bischöfe ebenfalls als authentisches Lehramt definiert hat.

 

 Als in diesem Jahr erneut Priesterweihen der Bruderschaft durchgeführt wurden, erfuhr dieser Schritt weit stärkere Kritik als in den Jahren vor der Aufhebung der Exkommunikation – so unter anderem vom Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, in dessen Bistum das deutsche Seminar der Bruderschaft in Zaitzkofen liegt[45].

 Die Bruderschaft und ihre Anhänger verteidigten sich mit dem Argument, dass sie nichts getan hätten, um die Spaltung zu verschärfen; vielmehr sei ihre Position zur Neuen Messe lange bekannt und hätten sie jedes Jahr Priester geweiht. Das ist richtig, doch hatte der Papst von ihnen eine Anerkennung des Konzils gefordert[46]

Zusammenfassung und Wertung

 Am Status der Piusbruderschaft als Gruppe hat sich durch die Aufhebung der Exkommunikation kirchenrechtlich kaum etwas geändert, wie Papst Benedikt XVI. selbst feststellte46: Die Bischöfe und Priester der Bruderschaft sind weiterhin suspendiert, das heißt, sie dürfen keine Sakramente spenden. Mit einer baldigen Änderung ist wohl kaum zu rechnen, da die Bischöfe der Bruderschaft bisher kaum Bereitschaft zum Einlenken gezeigt haben und der Papst ihnen zwar in Bezug auf die Liturgie entgegen gekommen ist, allerdings kaum die ökumenischen Kontakte und die Gespräche mit den Vertretern des Judentums und des Islams aufgeben wird.

 Fatal ist allerdings die Außenwirkung, vor allem aufgrund der Äußerungen Bischof Williamsons. Durchaus nicht nur bei Kirchenfeinden ist der Eindruck entstanden, die katholische Kirche toleriere Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit.

 Inwieweit die Piusbruderschaft bereit ist, ihre Position allmählich zu ändern, wird sich zeigen müssen. M.E. sind derzeit die Chancen gering, da sich die Vertreter der Bruderschaft bereits eindeutig geäußert haben..

 So, wie sich die Piusbruderschaft derzeit präsentiert, handelt es sich nicht nur und auch nicht in erster Linie um eine Gruppe von Traditionalisten, die die „Alte Messe“ bevorzugt. Zu den Forderungen der Piusbrüder gehören Aufgabe der Religionsfreiheit in katholischen Staaten und Aufgabe der ökumenischen Zusammenarbeit und des Dialogs mit anderen Religionen. Auch die Radikalität, mit der die „Neue Messe“ abgelehnt wird, lässt keine Kompromisse zu. Die Piusbruderschaft erwartet eine komplette Annahme ihres Verständnisses von Tradition, wozu weder die katholische Kirche, noch irgendein Staat bereit sein dürfte.

 Äußerungen nicht nur Bischof Williamsons, der das Konzil als „vergifteten Kuchen“ bezeichnete[47], sondern auch Bischof Tissiers[48], Rom müsse nachgeben und die Piusbrüder würden keine Kompromisse eingehen) und Galarretas[49] nach der Rücknahme der Exkommunikation stehen durch ihre Radikalität außerhalb jeder ernsthaften Diskussion. Selbst wenn der Papst bereit sein sollte, den tridentinischen Messritus als alleine gültigen zuzulassen – was mit Sicherheit eine weit größere Flucht von Gläubigen bedeuten würde als die Piusbruderschaft – kann er sich kaum die Forderungen der Bruderschaft, ökumenische und interreligiöse Zusammenarbeit einzustellen und die Rückkehr zur Staatskirche zu fordern, zu eigen machen.

 Solange die Bischöfe der Piusbruderschaft bei Maximalforderungen bleiben, wird kein Kompromiss möglich sein. Solange dieser Kompromiss aber nicht erreicht ist, bleiben die Priester der Bruderschaft suspendiert und ihre Messen unerlaubt. Für die Gläubigen, die Messen der Piusbruderschaft besuchen, ändert sich also kirchenrechtlich nichts. Wohl aber schadet die Rücknahme der Exkommunikation dem Bild der katholischen Kirche nach außen, wie an der Reaktion von Presse und Politik im Januar bereits zu sehen war.  

 

 

 

Quellen:

Codex Iuris Canonici – Kodex des Kanonischen Rechts. – Kevelaer 41994.

Hünermann, Peter: Excommunicatio – Communicatio: Versuch einer Schichtenanalyse in der aktuellen Krise. – in: Herder-Korrespondenz. Monatshefte für Gesellschaft und Religion 63 (2009), 3.

Rahner, Karl / Vorgrimler, Herbert (Hg.): Kleines Konzilskompendium. – Freiburg-Basel-Wien 261994.

Schifferle, Alois: Das Ärgernis Lefebvre. Informationen und Dokumente zur neuen Kirchenspaltung. Freiburg/Schweiz 1989

www.aciprensa.com (Lateinamerikanische Katholische Nachrichtenagentur)

www.domus-ecclesiae.de (private Homepage und Quellensammlung)

www.fsspx.org (Homepage der Bruderschaft Pius X.

www.kath.net/ (privat betriebener katholischer Nachrichtendienst) http://www.payer.de/religionskritik/syllabus.htm (Syllabus Errorum)

www.piusbruderschaft.de (Piusbruderschaft in Deutschland)

http://www.ulrichrhode.de/kanon/cic17_e.html (Kodex des Kanonischen Rechts von 1917)

www.vatican.va (Homepage des Vatikan)

www.welt.de

 

 

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[1] Enzykliken und Konzilsdokumente werden nach den ersten Wörtern des lateinischen Textes zitiert. Eine wörtliche Übersetzung ist daher nicht immer hilfreich.

[2] vgl. NA 2

[3]vgl.  NA 3

[4] vgl. NA 4.

[5] vgl. AG 22

[6] Vgl. SC 38

[7] Vgl. SC 48-50.

[8] Vgl. SC 54, 74.

[9] Vgl. LG 22.

[10] Vgl. DH 2

[11] Vgl. Syllabus Errorum 15.

[12] Vgl. NA 3.

[13] Vgl. NA 5.

[14] Zitiert nach www.domus-ecclesiae.de.

[15] Zitiert nach de.wikipedia.org.

[16] Vgl. http://www.religionswissenschaft.info/2008/03/19/katholische-karfreitagsliturgie-sorgt-fur-emporung/

[17] Vgl. http://www.welt.de/politik/article1331531/Zwei_Doerfer_und_der_Stolz_Adolf_Hitlers.html?page=3#article_readcomments, Abschnitt über Georg Sommer.

[18] Text (Spanisch) hier: http://www.aciprensa.com/Docum/medel.htm

[19] Text siehe: http://dbk.de/schriften/synode/band1.html

[20] Vgl. Schifferle 45.

[21] Vgl. ebd. 40.

[22] http://www.piusbruderschaft.de/die-hl-messe/3-die-hl-messe-ist-ein-opfer

[23] Vgl. http://www.piusbruderschaft.de/bruderschaft/ueber-uns/34-fragen-faq.

[24] Vgl. ebd. 52.

[25] Vgl. ebd. 65f.

[26] Vgl. Rundbrief Nr. 9: http://www.fsspx.org/ger/Archiv/cadreArch/CadArchiv.htm

[27] Vgl. Schifferle 50f.

[28] Vgl. DS 3064.

[29] Vgl. Schifferle 157f.

[30] Vgl. Schifferle 30f.

[31] http://www.piusbruderschaft.de/bruderschaft/ueber-uns/2-der-gruender

[32] So heute noch: http://www.piusbruderschaft.de/bruderschaft/ueber-uns/2-der-gruender; irrtümlich wird hier Pierre Mamie als Bischof von Sitten bezeichnet.

[33] Vgl. CIC (1917) can. 112 und 955.

[34] Vgl. CIC, can. 1017.

[35] http://www.piusbruderschaft.de/bruderschaft/ueber-uns/2-der-gruender.

[36] Vgl. CIC, can. 1382.

[37] Vgl. http://www.katholisches.info/?p=811

[38]Vgl.  www.petrusbruderschaft.de

[39] Vgl. CIC, can. 1333.

[40] Vgl. Hünermann. 123.

[41] Vgl. http://www.kath.net/detail.php?id=23435

[42] Vgl. http://www.kath.net/detail.php?id=23420

[43] Vgl. http://www.kath.net/detail.php?id=19623

[44] http://www.fsspx.org/ger/Archiv/cadreArch/CadArchiv.htm.

[45] Vgl. http://www.kath.net/detail.php?id=23247

[46] Vgl. http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/letters/2009/documents/hf_ben-xvi_let_20090310_remissione-scomunica_ge.html

[47] Vgl. http://truerestoration.blogspot.com/2009/07/video-interview-with-bishop-richard.html und http://www.lastampa.it/_web/cmstp/tmplrubriche/giornalisti/grubrica.asp?ID_blog=242&ID_articolo=598&ID_sezione=524&sezione=#  (poisoned cake bzw. torta avvelenata)

[48] Jamais nous ne signerons de compromis ; les discussions n’avanceront que si Rome réforme sa manière de voir et reconnaît les erreurs dans lesquelles le Concile a mené l’Eglise. http://www.lavie.fr/l-hebdo/une/article/1372-interview-exclusive-de-mgr-tissier-de-mallerais/retour/11/hash/28df7d9e54.html

[49] http://exsultet.net/?p=293