Mich vertritt nicht... und andere Anti-Listen

Wir deutschen Katholiken haben ja keine anderen Sorgen

 Der BDKJ-Vorsitzende, ein 42jähriger Mann, bereitet einen „Thesenanschlag“ vor; der Bischof von Rottenburg schließt eine Priesterweihe für Frauen nicht kategorisch aus, worauf eine sattsam bekannte Website zu Briefen an ihn aufruft; auf facebook existiert eine Liste „Mich vertritt nicht das ZdK“. „Moderne“ Pfarrer geben sich alle Mühe, zu zeigen, dass sie selbstverständlich nichts mit „Fundamentalisten“ zu tun haben. Gewisse Kreise diskutieren darüber, ob man die „Aktion kirchentreu“ aus Österreich übernehmen und Katholiken dazu aufrufen könnte, aus der Funktionärs-/ ZdK-/ Zollitsch- oder Wie-immer-Nationalkirche auszutreten.

 Die katholische Kirche in Deutschland hat ja, Gott sei Dank, keine anderen Sorgen. Es ist ja reine Sinnestäuschung, dass in unserem Land 70 Prozent Nichtkatholiken leben, Tendenz steigend. Ach nein, das ist keine Sinnestäuschung, würde sich aber sofort ändern, wenn man nur Frauen als Priesterinnen zuließe und den Pflichtzölibat abschaffen würde (denn der evangelischen Kirche geht es ja so viel besser) – Nein, es würde sich ändern, wenn man die Messe im tridentinischen Ritus feiern, Handkommunion, Ministrantinnen und Laienkommunionhelfer abschaffen und alle Mitarbeiter/innen, die nicht jeden einzelnen Satz des KKK kennen und befolgen, sofort feuern würde. (Ja wahrlich, eine Gemeinschaft wächst, indem sie Leute hinauswirft!).

Was für ein Verein von Idioten!

 Stellen wir uns doch einmal folgendes vor: Familie Müller, Vater und Söhne fußballbegeistert (von mir aus auch die Töchter) zieht in eine Stadt. Vor dem Vereinsheim des örtlichen Fußballvereins hängt ein Plakat, was für ein Idiot der Präsident ist. In der Zeitung erklären Spieler, dass sie selbstverständlich loyal zum Präsidenten stehen und daher die Entlassung des Jugendtrainers fordern, der den Präsidenten öffentlich kritisiert hat. In der Gaststube des Vereinsheims erzählen die Alten Herren, dass nur zu ihrer Zeit wahrer Fußball gespielt worden sei. Hat Max, der jüngste Sohn der Familie Müller, sich trotz aller Widrigkeiten entschieden, beizutreten, schnauzt ihn nach dem ersten Fehler der Kapitän an, er solle doch lieber zum Verein der Nachbarstadt gehen; hier könne man Leute wie ihn nicht brauchen.

 Selbst die fußballbegeisterten Müllers würden wohl Hals über Kopf verschwinden, geschweige denn Jugendliche, die erst „angestupst“ werden müssten, überhaupt erscheinen. Der Präsident beschuldigt öffentlich den Jugendtrainer, der wiederum den Präsident, der Kapitän beschließt, dem Trainer vorzuschlagen, noch mehr Spieler hinauszuwerfen und selbstverständlich ist stets jeder andere schuld. Die besonders Vereinstreuen fordern über die Lokalzeitung und die facebook-Seite des Vereins die Absetzung aller Trainer und Mitarbeiter, die gegen den Präsidenten sind, die Kritiker fordern öffentlich den Rücktritt des Präsidenten.

 Der Verein muss sich mangels Mitgliederzahl auflösen und die anderen waren schuld.

 

 Aber was ist das denn für ein Verein? Motiviert man Jugendliche zum Sport, indem man ihnen vorhält, was sie nicht können? Oder zum Beitritt zu einem Verein, indem die Mitglieder übereinander herziehen und öffentlich erklären, wie schlecht doch die anderen Vereinsmitglieder sind?

 Oder doch eher, indem man ihnen zeigt, wie viel Spaß Fußball macht, was für eine tolle Gemeinschaft der Verein ist und indem man Kritik konstruktiv vorbringt („Du willst doch gewinnen? Du willst doch noch besser werden? Also...“ statt „Du unfähiger Idiot, du hast keine Ahnung!“)

 Nur Phantasie?

Leider hat die Katholische Kirche in Deutschland Ähnlichkeit mit einem solchen Verein. Keinesfalls will ich irgendjemandem Böswilligkeit unterstellen. Kritik muss sein, doch gibt es einen Unterschied, ob die Kritik intern erfolgt oder ob man sich primär über die Kritik definiert.

 Und hier liegt das Problem des BDKJ: Man mag ja diskutieren, inwieweit die Diözesen bei der Bestellung der Bischöfe mitentscheiden sollen, ob Verheiratete zu Priestern geweiht werden sollen, womöglich sogar, ob die Weihe für Frauen möglich gemacht werden sollte. Was nicht geht, ist, sich über das Dagegen-Sein zu definieren. Warum um alles in der Welt sollte denn ein selbst religiös interessierter Jugendlicher einem katholischen Jugendverband beitreten, wenn dieser in der Öffentlichkeit in erster Linie dadurch auffällt, dass er gegen die „Amtskirche“ sein will? Warum dann nicht gleich evangelisch werden, wenn die katholische Kirche doch so schlimm ist?

Der Thesenanschlag: Historisches Vorbild?

 Der Thesenanschlag Luthers, der die „Reformation“ zwar faktisch auslöste, aber wohl kaum auslösen sollte, war ein Diskussionsbeitrag innerhalb der katholischen Kirche – selbst wenn, was kaum jemand ernsthaft annimmt, Luther seine Thesen wirklich bei Nacht an der Wittenberger Schlosskirche angeschlagen haben sollte: Die Gesellschaft war damals geschlossen katholisch.

 Tatsächlich tat Luther aber zunächst etwas anderes: Er schickte seine Thesen zur Diskussion an andere Theologen. Er wollte innerhalb der Kirche die Diskussion anstoßen – dass die offiziellen Kirchenvertreter lange nicht reagierten, war tragisch, dass Luther sich anschließend radikalisierte – die bekannten „solae“ – und dass der theologische Streit zu einem Machtkampf zwischen Kaiser und Fürsten wurde, ebenso.

 

 Vor allem aber ist die damalige Gesellschaft mit der heutigen nicht vergleichbar. Die gleichberechtigte Existenz zweier kirchlicher Gemeinschaften war für Luther so wenig denkbar wie für seine Gegner. Auch für ihn galt: Entweder er hatte Recht – dann müsste ihm jeder folgen – oder er hatte Unrecht und man könnte ihm das mithilfe der Bibel beweisen – dann müsste er widerrufen.

 

 Der Thesenanschlag, den der BDKJ plant, findet in einem völlig anderen Kontext statt: Es geht hier nicht um eine Diskussion in der Kirche, sondern der BDKJ will einmal mehr seine Gegnerschaft zur „Amtskirche“ offen zeigen.

 Über die einzelnen Thesen mag man diskutieren. Nur: Was wollen die Funktionäre erreichen? Glauben sie etwa, sie könnten diejenigen, die aufgrund der Sexuallehre oder anderer Punkte mit der Kirche nichts mehr zu tun haben wollen, dadurch zurückführen oder auch nur für ihren eigenen Verband gewinnen?

 Warum aber sollte jemand ausgerechnet einem katholischen Verein beitreten, wenn ihm die katholische Lehre nicht passt?

 Ich gehöre zur Generation Dirk Tänzlers, doch bereits zu meiner eigenen Jugendzeit gab es das Problem, das die damalige Leitung des BDKJ leider zu wenig sah: Für sie (und noch für viele von uns) war der Glaube trotz aller Kritik selbstverständlich. Für uns bereits stellte sich in der Diskussion mit Gleichaltrigen die Frage, warum wir in dieser Kirche aktiv sein wollten. Dieses „Warum“ kann man kaum mit „weil wir die Kirche komplett ändern wollen“ beantworten. Schon gar nicht überzeugt dies jemanden, der, wie die meisten Jugendlichen heute, eben nicht mehr aus einem geschlossen katholischen Milieu stammt.

„Mich vertritt nicht das ZdK“

 Bekanntlich ist das ZdK die Dachorganisation der katholischen Laienorganisationen und wird nach einem komplizierten Verfahren von den Diözesanräten (und damit mittelbar von den Pfarrgemeinderäten) sowie von den katholischen Verbänden gewählt. Auf facebook existiert eine Gruppe von Katholiken, die sich nicht durch das ZdK vertreten fühlen.

 

 Zugegeben, auch ich habe einige „Dislikes“ auf facebook. Dass ich Bayern München hasse, ist Teil meiner fränkischen Identität. Gegen den einzelnen Anhänger des FC Hollywood habe ich selbstverständlich nichts. Bei der „Linken“ und der FPÖ bzw. ihrem Vorsitzenden verhält es sich anders: Mit einer Partei, die die DDR verklärt, will ich nichts zu tun haben. Mit einer Partei, die mit Hetze gegen Ausländer Stimmen gewinnt, auch nicht.

 Ich werde allerdings auch weder der Linken beitreten, wenn sich einige Programmpunkte ändern, noch der FPÖ, wenn Strache nicht mehr ihr Vorsitzender ist. Beide Parteien widersprechen grundlegend meinen politischen Ansichten – und das drückt ein „gefällt mir nicht“ aus.

 

 Dagegen scheinen manche Katholiken ihre Treue zur Kirche durch ihre Gegnerschaft zum ZdK, teilweise auch zu den deutschen Bischöfen, unter Beweis stellen zu wollen. Selbstverständlich kann man über die Zusammensetzung des ZdK und die Äußerungen seiner Vorsitzenden diskutieren. Selbstverständlich ist es möglich, dass dem ZdK ähnliches passiert wie dem BDKJ in der Jugendarbeit, nur: Ist es nötig, seine Katholizität dadurch unter Beweis zu stellen, dass man sie anderen abspricht?

 Glauben die Unterstützer der „Aktion Kirchentreu“ und diejenigen, die aus „Kirchentreue“ zum Austritt aus dem „Kirchensteuersystem“ aufrufen, ernsthaft, dass sie mit den „wahren“ Katholiken die Infrastruktur auch nur einer Diözese erhalten könnten?

 Freilich, der „Gremienkatholizismus“ ist nach Meinung dieser Leute unnötig, solange es sich nicht um ihre Gremien handelt und das Glaubensbekenntnis muss ohnehin erweitert werden, um Häretiker auszusieben: „Ich glaube, dass das Weiheamt in alle Ewigkeit nur Männern vorbehalten ist. Ich glaube, dass künstliche Methoden der Empfängnisverhütung Sünde sind. Ich glaube, dass Homosexualität Todsünde ist. Ich glaube, dass jeder, der auch nur geringe Zweifel an einem der Sätze des Katechismus der Katholischen Kirche und des Codex Iuris Canonici hat, kein Katholik mehr ist. Ich glaube, dass der Zölibat die einzig wahre Lebensform für Priester ist.“

 

 Wie viele Katholiken mag es geben, die sämtliche Aussagen des Katechismus der Katholischen Kirche kennen und keine einzige anzweifeln? Und wie viele waren auch nie anderer Meinung? Ich gebe gerne zu: Hätte man mir vor fünfzehn bis zwanzig Jahren gesagt, ich sei nicht mehr katholisch und solle gefälligst austreten, sollte ich meine (damalige) Meinung zur Frauenordination nicht ändern, dann hätte ich das getan. Viele andere vielleicht auch. Anstatt 25 Millionen Katholiken gäbe es dann vielleicht 20 000 Rechtgläubige in ganz Deutschland, die von manchen belächelt, von anderen bewundert werden, doch missionarisch könnte eine solche Kirche kaum mehr sein – zumal dann nicht, wenn der Beitrittskandidat zunächst von seinen Pflichten hört, statt von der Freude am Glauben. Dass Gemeindearbeit wie wir sie kennen, Caritas oder anderes so nicht mehr funktionieren dürfte, liegt auf der Hand.

 Dafür statt Dagegen

 Meine Mutter seligen Gedenkens sagte am Tag vor Fronleichnam zu einem politisch links stehenden Bekannten, am nächsten Tag werde sie zur Demo gehen. – Fronleichnam, eine Demonstration? Wogegen? – Nicht gegen, sondern für: Für Jesus Christus und seine Kirche! Dafür sollen wir nicht nur einmal im Jahr, sondern eigentlich jeden Tag einstehen – und wir haben etwas zu sagen.

 

 Jesus Christus ist für uns Menschen gestorben, ist das nichts?

 Durch seine Auferstehung dürfen wir hoffen, über den Tod hinaus. Ist das nicht ein Grund zur Freude?

 Wir dürfen darauf hoffen, dass das Leben einen Sinn hat, auch wenn man nicht alles erreicht hat, was man erreichen wollte. Ist das nichts?

 Wir Menschen tun immer wieder Dinge, die nicht in Ordnung sind, wir sind aufgerufen, dazu zu stehen und zu versuchen, uns zu bessern; wir dürfen aber auf Verzeihung hoffen. Das ist doch ein Angebot, oder?

 Und schließlich: Diese Kirche mit all ihren Fehlern, die aus Menschen mit ihren Ängsten und Fehlern besteht: Sie ist auch eine Gemeinschaft von Menschen, die sich im Glauben unterstützen – und wenn die Kirche fehlerlos wäre, was hätte ich dann darin verloren?

 

 Das ist die Botschaft Jesu Christi: Er ist Mensch geworden wie wir, obwohl wir es nicht verdient haben. Das feiern wir an Weihnachten. Er ist auferstanden und hat den Tod – und damit die größte Angst – besiegt. Das feiern wir an Ostern. Und er hat uns Unterstützung in unserem Leben zugesagt durch den Heiligen Geist. Das feiern wir an Pfingsten.

 

 Das war und ist auch die Botschaft der Weltjugendtage: Es kommt nicht darauf an, in allen Punkten die Lehre zu befolgen. Katholischer Glaube ist kein skrupulöses Erfüllen von Normen, sondern ein gelebtes Vertrauen auf Gott. Das ist die Botschaft, die der selig gesprochene Papst Johannes Paul II. hinterlässt: ‚Ihr mögt in Vielem anders denken als ich, aber ich freue mich, dass ihr euch mit mir auf den Weg machen wollt.’

 

 Diesen Weg lohnt es sich gemeinsam zu gehen, statt sich in Nebenkriegsschauplätzen zu verlieren. Das ist unsere Botschaft und die lohnt es sich zu vertreten, ob in einer tridentinischen Messe, ob im ordentlichen Ritus oder im Jugendgottesdienst, ob mit Gregorianik, der ‚Deutschen Messe’ von Schubert oder Neuen Geistlichen Liedern. Oder um die heilige Teresa von Ávila zu zitieren:

 

 Nada te turbe, nada te espante, quien a dios tiene, nada le falta –

 Nichts soll dich beunruhigen, nichts soll dich erschrecken, wer Gott hat, dem fehlt nichts.

 

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