Memorandum von Theologieprofessorenund -professorinnen zur Krise der katholischen Kirche

Gut ein Jahr ist vergangen, seit am Berliner Canisius-Kolleg Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Priester und Ordensleute öffentlich gemacht wurden. Es folgte ein Jahr, das die katholische Kirche in Deutschland in eine beispiellose Krise gestürzt hat.

 Als „beispiellose Krise“ kann man das Jahr 2010 wohl nur betrachten, wenn man die Geschichte der Kirche in Deutschland mit dem Jahr 1990 beginnen lässt. Die Kirche musste gerade in Deutschland immer wieder neue Wege finden, etwa nach der Reformation, der Säkularisation, der Industrialisierung und damit verbunden der Auflösung konfessionell geschlossener Milieus, dem Kulturkampf, dem Nationalsozialismus und in Teilen unseres Landes dem Kommunismus.

 Die Kirche hatte in Deutschland schwerere Krisen zu überstehen; nicht immer haben ihre Vertreter auf Anhieb die Zeichen der Zeit erkannt, doch wir dürfen zuversichtlich sein, dass auch diese Krise zu überstehen sein wird. Nichtsdestotrotz gibt es einige Dinge, die sich ändern müssen, allerdings nicht in erster Linie in Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen.

Das Bild, das sich heute zeigt, ist zwiespältig: Vieles ist begonnen worden, um den Opfern gerecht zu werden, Unrecht aufzuarbeiten und den Ursachen von Missbrauch, Verschweigen und Doppelmoral in den eigenen Reihen auf die Spur zu kommen. Bei vielen verantwortlichen Christinnen und Christen mit und ohne Amt ist nach anfänglichem Entsetzen die Einsicht gewachsen, dass tief greifende Reformen notwendig sind.

 Zu wenig beachtet wurde der Auslöser des „Missbrauchsskandals“: Es war der Leiter des Canisius-Kollegs, P. Mertes, selbst, der die Missbrauchsfälle in seinem Haus untersuchen ließ und damit um einiges weiter gegangen ist als etwa der Leiter der Odenwaldschule. Dies entschuldigt keinen Missbrauch und schon gar keine Vertuschung in der Vergangenheit, sollte aber durchaus öffentlich gesagt werden.

 Weiter muss darauf hingewiesen werden, dass es bisher keinerlei seriöse Untersuchung gibt, die bestätigt, dass in der Kirche oder durch Priester signifikant mehr Missbrauch stattfände als in anderen Institutionen.

 Drittens muss ein Punkt klar sein: Wo es Kinder gibt, wird es immer auch Kindesmissbrauch geben – so traurig dies ist. Klar muss dagegen sein, dass ein verurteilter Kinderschänder nicht, wie in Riekofen geschehen, wieder mit Kindern zu tun haben darf: Es geht hier nicht um die Einsicht, dass Pädophilie Sünde ist, sondern viele Täter sind Triebtäter. An ihre „Einsicht“ kann man ebenso wenig appellieren wie an die „Einsicht“ eines Alkoholikers, nur zwei Gläser zu trinken: Einem Alkoholiker muss das erste Glas, einem Pädophilen der erste engere Kontakt zu einem Kind verweigert werden.

 Zweifellos muss darüber gesprochen werden, wie Missbrauch in Zukunft nach Möglichkeit verhindert werden kann. Vertuschung oder Täterschutz statt Opferschutz darf nicht sein – Darüber gibt es allerdings keinen nennenswerten Meinungsunterschied zwischen Konservativen und Liberalen.

Der Aufruf zu einem offenen Dialog über Macht- und Kommunikationsstrukturen, über die Gestalt des kirchlichen Amtes und die Beteiligung der Gläubigen an der Verantwortung, über Moral und Sexualität hat Erwartungen, aber auch Befürchtungen geweckt: Wird die vielleicht letzte Chance zu einem Aufbruch aus Lähmung und Resignation durch Aussitzen oder Kleinreden der Krise verspielt? Die Unruhe eines offenen Dialogs ohne Tabus ist nicht allen geheuer, schon gar nicht wenn ein Papstbesuch bevorsteht. Aber die Alternative: Grabesruhe, weil die letzten Hoffnungen zunichte gemacht wurden, kann es erst recht nicht sein.

 Auch hier gibt es, wie im ersten Absatz, einige Übertreibungen. Es gibt keine „vielleicht letzte Chance“. Ohne die Austrittszahlen, den Priestermangel oder die sinkende Kirchgängerzahl „klein zu reden“: Noch gibt es lebendige Gemeinden, noch steht die katholische Kirche keineswegs vor dem Untergang. Auch gibt es sehr wohl Diskussionen über die Struktur der Kirche und haben gerade die Professoren – mit Recht – in letzter Zeit nicht geschwiegen. Von „Grabesruhe“ kann man daher kaum sprechen.

Die tiefe Krise unserer Kirche fordert, auch jene Probleme anzusprechen, die auf den ersten Blick nicht unmittelbar etwas mit dem Missbrauchsskandal und seiner jahrzehntelangen Vertuschung zu tun haben. Als Theologieprofessorinnen und -professoren dürfen wir nicht länger schweigen. Wir sehen uns in der Verantwortung, zu einem echten Neuanfang beizutragen: 2011 muss ein Jahr des Aufbruchs für die Kirche werden. Im vergangenen Jahr sind so viele Christen wie nie zuvor aus der katholischen Kirche ausgezogen; sie haben der Kirchenleitung ihre Gefolgschaft gekündigt oder haben ihr Glaubensleben privatisiert, um es vor der Institution zu schützen. Die Kirche muss diese Zeichen verstehen und selbst aus verknöcherten Strukturen ausziehen, um neue Lebenskraft und Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen.

 Zweifellos waren viele Austritte im letzten Jahr dem Missbrauchsskandal, der in Wahrheit wesentlich weiter zurücklag, geschuldet. Ebenso zweifellos allerdings gibt selten ein einziges Geschehen – zumal 2010 ja etwas geschah, was an sich positiv war, nämlich eine kritische Beschäftigung mit den Skandalen und dem Umgang damit – den Ausschlag für einen solchen Schritt. Wer 2010 ausgetreten ist, hat sich schon vorher von der Kirche distanziert. Die Gründe dafür gilt es zu untersuchen. Sicher aber ist es ein Euphemismus, zu behaupten, diese Menschen hätten „Ihr Glaubensleben privatisiert“. Für viele – und das ist das Problem – spielt der Glaube schlicht und ergreifend keine Rolle mehr.

Die Erneuerung kirchlicher Strukturen wird nicht in ängstlicher Abschottung von der Gesellschaft gelingen, sondern nur mit dem Mut zur Selbstkritik und zur Annahme kritischer Impulse – auch von außen. Das gehört zu den Lektionen des letzten Jahres: Die Missbrauchskrise wäre nicht so entschieden bearbeitet worden ohne die kritische Begleitung durch die Öffentlichkeit. Nur durch offene Kommunikation kann die Kirche Vertrauen zurückgewinnen. Nur wenn Selbst- und Fremdbild der Kirche nicht auseinanderklaffen, wird sie glaubwürdig sein.

 Dem ist zuzustimmen, mit der Ausnahme, dass die „kritische Begleitung“ durch manche Medienvertreter und Politiker durchaus zu hinterfragen ist. Zu oft wurde in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, es gebe sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche und dessen Vertuschung nur oder deutlich häufiger als außerhalb. Ich wiederhole mich: Dafür gibt es keinerlei Beweise. Der einzige Wissenschaftler, der darüber Zahlen vorgelegt hat, Prof. Hans-Ludwig Kröber, hat das genaue Gegenteil festgestellt – allerdings erfolgten seine Recherchen vor 2010 und müssten daher nochmals überprüft werden. Sich selbst in Sack und Asche zu hüllen ist ebenso unsinnig wie eine von Selbstkritik freie Medienschelte. Wer mit seinen eigenen Fehlern kritisch umgeht, der kann sich auch glaubwürdig gegen ungerechte Vorwürfe von außen verwahren.

Wir wenden uns an alle, die es noch nicht aufgegeben haben, auf einen Neuanfang in der Kirche zu hoffen und sich dafür einzusetzen. Signale zu Aufbruch und Dialog, die einige Bischöfe während der letzten Monate in Reden, Predigten und Interviews gesetzt haben, greifen wir auf.

Die Kirche ist kein Selbstzweck. Sie hat den Auftrag, den befreienden und liebenden Gott Jesu Christi allen Menschen zu verkünden. Das kann sie nur, wenn sie selbst ein Ort und eine glaubwürdige Zeugin der Freiheitsbotschaft des Evangeliums ist. Ihr Reden und Handeln, ihre Regeln und Strukturen – ihr ganzer Umgang mit den Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche – stehen unter dem Anspruch, die Freiheit der Menschen als Geschöpfe Gottes anzuerkennen und zu fördern. Unbedingter Respekt vor jeder menschlichen Person, Achtung vor der Freiheit des Gewissens, Einsatz für Recht und Gerechtigkeit, Solidarität mit den Armen und Bedrängten: Das sind theologisch grundlegende Maßstäbe, die sich aus der Verpflichtung der Kirche auf das Evangelium ergeben. Darin wird die Liebe zu Gott und zum Nächsten konkret.

Den letzteren Satz wird wohl jeder vernünftige Katholik, ob konservativ oder liberal, unterschreiben können. Nur ist die Frage, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Lebensschutz – kein Thema. Darf man dann zum Thema Fristenlösung schweigen? Dient oder schadet die Genforschung dem Lebensschutz? Soll die Kirche sich mit Hartz-IV-Empfängern und Leiharbeitern solidarisch erklären und gemeinsam demonstrieren oder geht das zu weit? Über diese Dinge muss man reden und gegebenenfalls klarer formulieren.

Die Orientierung an der biblischen Freiheitsbotschaft schließt ein differenziertes Verhältnis zur modernen Gesellschaft ein: In mancher Hinsicht ist sie der Kirche voraus, wenn es um die Anerkennung von Freiheit, Mündigkeit und Verantwortung der Einzelnen geht; davon kann die Kirche lernen, wie schon das Zweite Vatikanische Konzil betont hat. In anderer Hinsicht ist Kritik aus dem Geist des Evangeliums an dieser Gesellschaft unabdingbar, etwa wo Menschen nur nach ihrer Leistung beurteilt werden, wo wechselseitige Solidarität unter die Räder kommt oder die Würde des Menschen missachtet wird.

 Unfreiheit und Unmündigkeit sind wahrhaftig kein alleiniges Problem der Kirche. Die Kirche kann auch keine offene, pluralistische Gesellschaft sein, denn sie hat eine klare und nicht diskutierbare Lehre zu vertreten. Die Frage ist, wie weit diese Verbindlichkeit geht. Den Zölibat als verpflichtendes Kriterium für die Zulassung zur Priesterweihe abschaffen zu wollen steht sicher nicht auf derselben Ebene wie die Auferstehung Christi zu leugnen.

 Eine nach rein demokratischen Maßstäben organisierte Kirche läuft Gefahr, dass eben diese Grundsätze zur Disposition stehen. Wenn jeder Getaufte alles mitentscheiden dürfte, dann stünde früher oder später auch zur Debatte, ob die Auferstehung Christi wahr ist oder Schrift und kirchliche Tradition verbindlicher Maßstab sein müssen. Daran mag ein einzelner gelegentlich zweifeln – und wer würde nicht gelegentlich von Glaubenszweifeln geplagt – eine Diskussion über den Sinn dieser Sätze kann es aber in der Kirche nicht geben.

In jedem Fall aber gilt: Die Freiheitsbotschaft des Evangeliums bildet den Maßstab für eine glaubwürdige Kirche, für ihr Handeln und ihre Sozialgestalt. Die konkreten Herausforderungen, denen sich die Kirche stellen muss, sind keineswegs neu. Zukunftsweisende Reformen lassen sich trotzdem kaum erkennen. Der offene Dialog darüber muss in folgenden Handlungsfeldern geführt werden.

1. Strukturen der Beteiligung: In allen Feldern des kirchlichen Lebens ist die Beteiligung der Gläubigen ein Prüfstein für die Glaubwürdigkeit der Freiheitsbotschaft des Evangeliums. Gemäß dem alten Rechtsprinzip „Was alle angeht, soll von allen entschieden werden“ braucht es mehr synodale Strukturen auf allen Ebenen der Kirche. Die Gläubigen sind an der Bestellung wichtiger Amtsträger (Bischof, Pfarrer) zu beteiligen. Was vor Ort entschieden werden kann, soll dort entschieden werden. Entscheidungen müssen transparent sein.

 Auf die Frage der Demokratie in der Kirche bin ich bereits eingegangen. Es gibt Punkte, über die nicht diskutiert werden kann. Auch ist fraglich – gerade wenn man die Situation mancher evangelischer Kirchengemeinden anschaut – ob Pfarrerwahl das Allheilmittel ist.

 Allerdings muss das Votum der Gemeinde oder des Bistums ernst genommen werden. Ein Pfarrer oder gar Bischof, der zum „Aufräumen“ geschickt wird und die Strukturen vor Ort erst einmal als seine natürlichen Gegner ansieht, wird entweder scheitern oder viel kaputt machen.

2. Gemeinde: Christliche Gemeinden sollen Orte sein, an denen Menschen geistliche und materielle Güter miteinander teilen. Aber gegenwärtig erodiert das gemeindliche Leben. Unter dem Druck des Priestermangels werden immer größere Verwaltungseinheiten – „XXL-Pfarren“ – konstruiert, in denen Nähe und Zugehörigkeit kaum mehr erfahren werden können. Historische Identitäten und gewachsene soziale Netze werden aufgegeben. Priester werden „verheizt“ und brennen aus. Gläubige bleiben fern, wenn ihnen nicht zugetraut wird, Mitverantwortung zu übernehmen und sich in demokratischeren Strukturen an der Leitung ihrer Gemeinde zu beteiligen. Das kirchliche Amt muss dem Leben der Gemeinden dienen – nicht umgekehrt. Die Kirche braucht auch verheiratete Priester und Frauen im kirchlichen Amt.

Gläubige bleiben auch in der evangelischen Kirche, wo diese Forderungen verwirklicht sind, fern. Es ist auch zu diskutieren, ob alle Aufgaben, die derzeit von Priestern erledigt werden, nicht von haupt- oder ehrenamtlichen Laien ebenso gut oder sogar besser erledigt werden können. Mitverantwortung ist gut und richtig, über den Zölibat muss man diskutieren und – selbst wenn man „Ordinatio Sacerdotialis“ dogmatische Kraft zuschreibt, was ich nicht unbedingt tue – unterhalb der Priesterweihe gibt es durchaus Möglichkeiten, Frauen stärker einzubeziehen.

 Ein Allheilmittel sind solche Strukturänderungen dagegen keinesfalls. Das Gemeindeleben einladend zu machen ist Sache aller und bereits jetzt gibt es zahlreiche Möglichkeiten auch für Laien.

3. Rechtskultur: Die Anerkennung von Würde und Freiheit jedes Menschen zeigt sich gerade dann, wenn Konflikte fair und mit gegenseitigem Respekt ausgetragen werden. Kirchliches Recht verdient diesen Namen nur, wenn die Gläubigen ihre Rechte tatsächlich geltend machen können. Rechtsschutz und Rechtskultur in der Kirche müssen dringend verbessert werden; ein erster Schritt dazu ist der Aufbau einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit.

 Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen. Die kirchliche Rechtsprechung darf nicht von Gnaden des Bischofs abhängig, sondern müsste von diesem unabhängig sein.

4. Gewissensfreiheit: Der Respekt vor dem individuellen Gewissen bedeutet, Vertrauen in die Entscheidungs- und Verantwortungsfähigkeit der Menschen zu setzen. Diese Fähigkeit zu unterstützen, ist auch Aufgabe der Kirche; sie darf aber nicht in Bevormundung umschlagen. Damit ernst zu machen, betrifft besonders den Bereich persönlicher Lebensentscheidungen und individueller Lebensformen. Die kirchliche Hochschätzung der Ehe und der ehelosen Lebensform steht außer Frage. Aber sie gebietet nicht, Menschen auszuschließen, die Liebe, Treue und gegenseitige Sorge in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder als wiederverheiratete Geschiedene verantwortlich leben.

 Hier könnte man konkreter werden: Wollen die Unterzeichner die Möglichkeit, dass Menschen, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften oder der zweiten Ehe leben, in der Kirche bzw. kirchlichen Vereinen tätig sein können? Das ist bereits ganz offiziell erlaubt.

 Wollen sie in bestimmten Fällen solche Menschen zur Kommunion zulassen? Das wäre wohl im Einzelfall zu entscheiden. Ein unschuldig verlassener steht wohl kaum moralisch auf einer Stufe mit jemand, der selbst für die Zerrüttung seiner Ehe verantwortlich ist.

 Oder wollen sie eine völlige Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften oder Zweitehen mit der Erstehe? Das ist wohl kaum sinnvoll. Ehe und Familie als natürlicher Ort, wo Kinder aufwachsen, verdienen Schutz und Unterstützung. Mindestens als Ideal sollten sie erhalten bleiben.

5. Versöhnung: Solidarität mit den „Sündern“ setzt voraus, die Sünde in den eigenen Reihen ernst zu nehmen. Selbstgerechter moralischer Rigorismus steht der Kirche nicht gut an. Die Kirche kann nicht Versöhnung mit Gott predigen, ohne selbst in ihrem eigenen Handeln die Voraussetzung zur Versöhnung mit denen zu schaffen, an denen sie schuldig geworden ist: durch Gewalt, durch die Vorenthaltung von Recht, durch die Verkehrung der biblischen Freiheitsbotschaft in eine rigorose Moral ohne Barmherzigkeit.

 Hier wäre es nötig, mehr ins Detail zu gehen. Moralische Beliebigkeit kann ebenso wenig das Ziel kirchlicher Verkündigung sein wie „Moral ohne Barmherzigkeit“. Man kann die Ehe als Ideal hochhalten ohne jeden, dessen Ehe gescheitert ist, als bösen Sünder zu brandmarken – was in der Praxis ohnehin kaum geschieht.

 Im Übrigen ist auch die Forderung, Leben in jedem Fall zu schützen „rigorose Moral“. Hier muss diskutiert werden, wo Konsequenz und wo Barmherzigkeit angebracht ist.

6. Gottesdienst: Die Liturgie lebt von der aktiven Teilnahme aller Gläubigen. Erfahrungen und Ausdrucksformen der Gegenwart müssen in ihr einen Platz haben. Der Gottesdienst darf nicht in Traditionalismus erstarren. Kulturelle Vielfalt bereichert das gottesdienstliche Leben und verträgt sich nicht mit Tendenzen zur zentralistischen Vereinheitlichung. Nur wenn die Feier des Glaubens konkrete Lebenssituationen aufnimmt, wird die kirchliche Botschaft die Menschen erreichen.

 Auch hier ist die Aussage etwas dürftig. Was ist kulturelle Vielfalt und was soll einheitlich sein? Eine Messe ohne Hochgebet und Kommunion wäre keine Messe mehr – nirgends auf der Welt. Der Rahmen, etwa Lieder, Gestaltung von Altar und Messgewändern etc. ist heute schon unterschiedlich. Auch ist der Wiedererkennungswert, dass auch eine im Ausland erlebte katholische Messe als solche erkennbar ist, durchaus auch ein Wert, den es sich m.E. zu bewahren lohnt.

Der begonnene kirchliche Dialogprozess kann zu Befreiung und Aufbruch führen, wenn alle Beteiligten bereit sind, die drängenden Fragen anzugehen. Es gilt, im freien und fairen Austausch von Argumenten nach Lösungen zu suchen, die die Kirche aus ihrer lähmenden Selbstbeschäftigung herausführen. Dem Sturm des letzten Jahres darf keine Ruhe folgen! In der gegenwärtigen Lage könnte das nur Grabesruhe sein. Angst war noch nie ein guter Ratgeber in Zeiten der Krise. Christinnen und Christen sind vom Evangelium dazu aufgefordert, mit Mut in die Zukunft zu blicken und – auf Jesu Wort hin – wie Petrus übers Wasser zu gehen: „Warum habt ihr solche Angst? Ist euer Glaube so klein?“

 Es ist grundsätzlich schlecht, grundlegende Reformen „mit heißer Nadel“ zu stricken. Dies zeigen u.a. die Reaktionen der Presse, die v.a. von Theologen, die den Zölibat abschaffen und Frauen zu Priesterinnen weihen wollen, sprechen. Ersteres ist nicht die einzige Forderung, Letzteres wird nicht einmal explizit gefordert.

 Eine Presseerklärung vor einem internen inhaltlichen Gespräch wird immer zu verkürzten Darstellungen führen und ist allein deshalb problematisch.

 Eines jedenfalls ist sicher: Die katholische Kirche wird niemand dadurch erreichen, dass ihre Vertreter – und dazu gehören die Unterzeichner des Memorandums – schreiben, was sich alles ändern sollte, sondern dadurch, dass sie katholischen Glauben durch ihr Leben attraktiv machen.

 

 Kommentare zu den Reaktionen sind in Vorbereitung

 

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