Die katholische Kirche – Hort der Pädophilie?

 Nachdem aus mehreren katholischen Einrichtungen Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen bekannt wurden, ist die Diskussion über die Ursachen wieder aufgeflammt. Während manche Journalisten bereits wissen wollen, dass im Pflichtzölibat zumindest eine der Ursachen zu sehen ist, will der Augsburger Bischof Walter Mixa in der so genannten Sexuellen Revolution die Hauptursache sehen. Andere konservative Katholiken sehen Homosexualität als Ursache von Kindesmissbrauch.

 

Folgendes ist klarzustellen: Sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und Kindern sind nicht nur strafbar, sondern unter allen Umständen abzulehnen. Wer als Priester, Lehrer oder Erzieher die ihm anvertrauten Kinder dazu missbraucht, seine sexuellen Gelüste zu befriedigen, muss dringend aus allen Bereichen, in denen er mit Kindern in Kontakt treten könnte, entfernt werden. Dass dies in der katholischen Kirche über Jahre hinweg nicht geschehen ist, ist ein handfester Skandal. Wenn die Verantwortlichen nun zur Rechenschaft gezogen werden, ist dies nur zu begrüßen.

Der Zölibat – Verdrängung der Sexualität, die zu Missbrauch führt

 Dass allerdings der Zölibat die Ursache für Kindesmissbrauch ist, müsste bewiesen werden. Nach wie vor geschehen die meisten Missbrauchsfälle innerhalb von Familien. Auch in Schulen und Sportvereinen werden nichtzölibatäre Männer häufiger zu Straftätern als zölibatäre Priester.

 Ein nichtkatholischer Experte, der Berliner Kriminalpsychologe Hans-Ludwig Kröber, spricht sogar davon, dass zölibatäre Priester weit seltener sexuellen Missbrauch begehen als nichtzölibatäre Männer an vergleichbarer Position.

 Außerhalb der katholischen Kirche werden allerdings häufiger Mädchen zu Missbrauchsopfern als Jungen. Dies widerlegt die Behauptung, Homosexuelle neigten eher zu Pädophilie als Heterosexuelle.

 Warum aber sind in der Kirche meist Jungen zu Opfern pädophiler Priester und Erzieher geworden? Vielleicht einfach deshalb, weil die meisten kirchlichen Internate und bis vor wenigen Jahren auch kirchlichen Schulen Geschlechtertrennung hatten und so homosexuell-pädophile Erzieher leichter an ihre Opfer herankamen als heterosexuell-pädophile.

Die sexuelle Revolution als Ursache

 Freilich sind Aussagen wie die des Augsburger Bischofs ebenso mit Vorsicht zu genießen. Es gab viele Fälle von Kindesmissbrauch vor 1968, die erst wesentlich später bekannt wurden. Da in den Augen vieler Menschen damals Priester, Lehrer oder Erzieher nicht hinterfragbare Autoritäten waren, trauten sich viele Betroffene nicht, den Missbrauch anzuzeigen. Dies sollte bei einem Vergleich berücksichtigt werden.

 Tatsache ist, dass infolge der „68er-Revolution“ auch das Schutzalter für Kinder infrage gestellt wurde. Der spätere Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, der Anfang der 70er Jahre in einem antiautoritären „Kinderladen“ arbeitete, schrieb in seinem Buch „Little Big Men“: Mein ständiger Flirt mit allen Kindern nahm bald erotische Züge an. Ich konnte richtig fühlen, wie die kleinen Mädchen von fünf Jahren schon gelernt hatten, mich anzumachen. Es ist kaum zu glauben. Meist war ich ziemlich entwaffnet. Zitat. Sein Parteifreund Volker Beck forderte einst offen eine Absenkung des Schutzalters, wenn ihm auch selbst nie pädophile Neigungen nachgesagt wurden. Auch der Spiegel äußerte 1980 in einem Artikel Verständnis für Pädophilie.

 Weder Cohn-Bendit noch Beck haben sich im strafrechtlichen Sinn schuldig gemacht und der SPIEGEL hat seine Position inzwischen glaubwürdig geändert. Dennoch trifft es zu, dass über die Erlaubnis für sexuelle Handlungen mit Kindern infolge der 68er-Umwälzungen diskutiert wurde. Dies hat freilich kaum mit Fällen in der katholischen Kirche zu tun, die sich zu jener Zeit ereigneten: Katholische Internate waren wohl kaum Hochburgen der Revolutionäre.

Canisius-Kolleg und das Interview der Justizministerin

 Hat sich in der katholischen Kirche nichts geändert? Wurden die Richtlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch tatsächlich nur zum Schein erlassen? Diesen Vorwurf erhob Deutschlands Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in den Tagesthemen.

 Ein Fall wie der des Pfarrers von Riekofen, der noch nach 2002 von seinem Bischof versetzt wurde, allerdings in der Pfarrseelsorge tätig blieb, spricht dafür.

 Dagegen sind die Missbräuche am Canisius-Kolleg in Berlin, über die derzeit öffentlich debattiert wird, nicht nur deutlich vorher geschehen, sondern kamen genau deshalb an die Öffentlichkeit, weil der heutige Rektor dies wollte. Genau hier greift der Vorwurf der Untätigkeit kirchlicher Stellen also nicht.

 

 Ein weiterer Vorwurf der Justizministerin richtet sich gegen die nicht zwingend vorgeschriebene Anzeigepflicht in den Richtlinien der Deutschen Bischofskonferenz. Sicher könnte man argumentieren, die Staatsanwaltschaft sollte bereits bei Verdacht, nicht erst bei erwiesener Täterschaft gegebenenfalls informiert werden. Dennoch würde wohl jedes Unternehmen entsprechende Vorwürfe erst intern klären. Es gibt auch Fälle, in denen Opfer selbst keine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft wünschen.

 Im Übrigen gibt es nach deutschem Recht keine Anzeigepflicht wegen Kindesmissbrauch, was einer Justizministerin klar sein sollte. Man kann freilich darüber diskutieren, ob das geändert werden sollte. Unbestritten ist jedoch das Recht jedes Opfers, selbst den Missbrauch bei der Polizei anzuzeigen. Sollte irgendein Rektor oder Präfekt im Gespräch mit dem Opfer dieses Recht bestritten haben, wäre das tatsächlich ein handfester Skandal; dies wird jedoch bisher von niemandem behauptet.

 

 Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass man unter moralischen Aspekten mit Sicherheit diskutieren kann, ob die Richtlinien der Bischofskonferenz verschärft werden sollten. Juristisch ist die Katholische Kirche jedoch nach der derzeitigen Gesetzeslage nicht dazu verpflichtet. Dies und die Problematik einer entsprechenden Gesetzesänderung diskutiert ein Kommentator in der gewiss nicht Sympathien für die katholische Kirche verdächtigen taz. Natürlich kann man, wie einige Kommentatoren auch zurecht anmerken, geteilter Meinung sein, ob eine Anzeigepflicht sinnvoll wäre und auch, ob für die Kirchen als Körperschaften öffentlichen Rechts andere Richtlinien gelten sollten als für Privatpersonen.

 Falls die Justizministerin eine solche Gesetzesänderung will, sollte sie allerdings als Mitglied des Beirats der „Humanistischen Union“ sich zunächst für die Aufhebung eines Papiers dieser Gruppe, das genau das Gegenteil einer Gesetzesverschärfung fordert, einsetzen.

 

 Keinesfalls aber lässt sich die Behauptung aufrechterhalten, in der Kirche gelte kein staatliches Recht. Der einzige Missbrauchsfall, der mit Sicherheit nach 2002 stattfand, endete mit Verurteilung des Schuldigen zu drei Jahren Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Bereits 2000 hatte er eine Bewährungsstrafe erhalten. Man mag das Urteil von 2000 für zu milde halten, doch muss, wer dies tut, den Beweis erbringen, dass ein Nichtpriester im gleichen Fall härter bestraft worden wäre. (Zur Erinnerung: Nicht jeder sexuelle Missbrauch ist gleich zu beurteilen; die Spannbreite reicht von Berühren an „erotischen“ Stellen bis Vergewaltigung).

Das Problem der Vertuschung

 Hier hat sich die katholische Kirche bzw. zahlreiche Bischöfe zweifellos manche Vorwürfe gefallen zu lassen. Anzunehmen ist allerdings, dass es nicht nur in kirchlichen Stellen eine hohe Dunkelziffer gibt – sei es, weil sich Opfer selbst schämen, sei es, weil Direktoren lieber den Schein wahren als an die Öffentlichkeit zu gehen. Das Beispiel des Canisius-Kollegs könnte gerade zu einem solchen Verhalten ermuntern: So wie eine Schule, an der ein Amoklauf stattfindet oder Drogen gehandelt werden (was keine öffentliche Schule von vornherein ausschließen kann) auch dann lange einen schlechten Ruf hat, wenn sie alles zur Aufklärung bzw. zur Verhinderung von Nachahmung tut, kann es auch bei sexuellem Missbrauch durch Lehrer und Erzieher sein. Dies ist kein rein kirchliches Problem. Da zudem viele Opfer aus Scham oder Furcht nicht aussagen, gibt es mit Sicherheit eine hohe Dunkelziffer.

  Zudem ist es schwierig, in einem Jahre zurückliegenden Fall Schuld oder Unschuld nachzuweisen. Ein solcher Prozess ist auf jeden Fall langwierig und solange man am Prinzip der Unschuldsvermutung festhält, wird es auch schwierig sein, jemanden zu verurteilen.

 Selbstverständlich gehört die Unschuldsvermutung ins Strafrecht, während auch ein Verdächtiger zunächst aus seinem Wirkungskreis genommen werden kann. Dies geschah nach den Vorwürfen gegen einen Franziskanerpater, der allerdings bereits 1976 nach Selbstanzeige freigesprochen wurde. Dies hinderte seinen Orden jedoch nicht, ihn, nachdem erneut Vorwürfe laut wurden, aus seinem bisherigen Tätigkeitsfeld  zu nehmen und zusätzlich seinen Namen zu veröffentlichen.

 Während man über das Erste durchaus diskutieren kann, ist das Zweite sowohl von Seiten des Ordens als auch von Seiten der Zeitung ein moralisch recht fragwürdiges Verhalten: Der Name eines Verdächtigen wird nach einer anonymen Anzeige, deren Wahrheit in so kurzer Zeit kaum geprüft werden konnte, in der Presse veröffentlicht. Außerhalb eines Ordens könnte der Betroffene im Fall seiner Unschuld Anzeige wegen Übler Nachrede erstatten.

Gefahren

 Sexueller Missbrauch ist nicht zu beschönigen und gerade Priester, Lehrer und Erzieher dürfen keine pädophilen Neigungen haben. Gewarnt werden muss allerdings zum Einen vor Pauschalverdächtigungen, zum anderen vor Nichtbeachtung von Unterschieden: Ein Fußballtrainer, der einen Spieler der E- oder F-Jugend zum Trost in den Arm nimmt, nachdem dieser in einem wichtigen Spiel das Tor nicht getroffen hat, begeht keinen (bewussten) sexuellen Missbrauch. Dennoch muss er sich im Klaren sein, dass eine solche Geste anders ankommen kann als er dies beabsichtigt.

 Vor Hysterie muss ebenso gewarnt werden wie vor Vernachlässigung des Problems. Nicht jedes auffällige Verhalten eines Kindes weist auf Missbrauch hin, nicht jede entsprechende Aussage ist ernstzunehmen. Gerade einem jüngeren Kind muss klar gemacht werden, dass der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs keine Kleinigkeit ist und es sich gut überlegen muss, ob es Fremden davon erzählt.

Lösungen

Derzeit diskutiert die Bischofskonferenz über die Änderung der 2002 erlassenen Leitlinien . Eine Verschärfung ist nicht ausgeschlossen. Sie sollte meiner Meinung nach etwa so aussehen:

 Wer als leitender kirchlicher Mitarbeiter (d.h. vom Bischof bis zum Präfekten in einem Internat) Kenntnis vom Verdacht des sexuellen Missbrauchs eines ihm unterstellten Mitarbeiters gegen einen minderjährigen Schutzbefohlenen erhält, ist verpflichtet, alles zu tun, um den Verdacht zu klären. Vor allem muss er mit dem Verdächtigten und möglichen Zeugen ein klärendes Gespräch führen
 Sollte sich der Verdacht als begründet erweisen, soll er nach Rücksprache mit dem Opfer die Staatsanwaltschaft einschalten. Für die Dauer des Verfahrens soll der Verdächtigte nach Möglichkeit in einen anderen Tätigkeitsbereich versetzt werden, jedoch soll vermieden werden, dass er öffentlich in Verdacht gerät.
 Sollten die Ermittlungen der kirchlichen oder der staatlichen Stellen ergeben, dass tatsächlich Kindesmissbrauch vorgelegen hat, darf der Beschuldigte nie mehr, auch nicht nach Verbüßung seiner eventuellen Strafe, in Tätigkeiten eingesetzt werden, in denen er mit Kindern in Kontakt kommt.

 

 D.h. Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft muss die Regel, nicht nur eine Option sein. Eine Weiterbeschäftigung eines Pädophilen im Seelsorgebereich darf – gerade weil Kindesmissbrauch kein überlegtes Handeln ist – auf keinen Fall sein.

 Gefordert ist nun allerdings auch der Papst, denn nur er kann in Fällen wie Riekofen, als sich der Bischof von Regensburg über die Bestimmungen hinwegsetzte, tätig werden. Im Interesse der Glaubwürdigkeit der Kirche muss ein Bischof, der so handelt wie Gerhard Ludwig Müller, Konsequenzen spüren.

 

 Für die staatlichen Stellen muss gelten, dass kirchliche Träger nicht anders zu behandeln sind als weltliche: Pauschalverdächtigung ist ebenso abzulehnen wie besondere Schonung.

 

 Für Eltern kann der Weg nur sein, die Kinder zu einem gesunden Selbstbewusstsein (nicht zu verwechseln mit Ablehnung jeder Autorität) zu erziehen. Kinder haben das Recht, körperlichen Kontakt abzulehnen. Auch müssen Eltern entsprechende Aussagen ernst nehmen, jedoch sollten sie, bevor sie rechtliche Schritte unternehmen, versuchen, eventuellen Vorwürfen soweit wie möglich nachzugehen.

 

Zurück